Die SPÖ redet sich die Lage schön
In Österreich gibt es seit Jahrzehnten eine stabile konservativ-rechte Mehrheit, die SPÖ nimmt das nicht zur Kenntnis.
Er ging als Manager in die Politik, um die SPÖ vor dem politischen Absturz zu bewahren. Dieser war nach dem Ende der Ära Werner Faymann durchaus möglich. Ob der ehemalige ÖBB-Chef das geschafft hat, ist eine Frage der Interpretation. Die SPÖ ist zwar stimmenmäßig im neuen Nationalrat mit Stand Sonntagabend etwa gleich geblieben, sie ist aber nur noch die zweitstärkste Partei.
Dass die SPÖ in der Gunst der Wählerinnen und Wähler nicht deutlicher zulegen konnte, dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen war der Wahlkampf eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Angefangen bei der AntiTerror-Mauer vor der Hofburg, von der die SPÖ nichts mehr wissen wollte, als Kritik daran aufgekommen war, bis zu ihrem Wahlkampfberater Tal Silberstein, von dem sie sich trennen musste, nachdem in Israel die Justiz gegen ihn zu ermitteln begann. Was aber viel schwerer wiegt: Die Sozialdemokratie hat anscheinend den Kontakt zu vielen Bürgerinnen und Bürgern, ihren Wünschen, Träumen, Sorgen und Ängsten verloren.
Die Zeiten, als diese Partei sogar mehr als 50 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher erreichte, sind lang vorbei. Wobei: Vielleicht sollte sich die SPÖ einmal daran erinnern, was damals auf ihren Plakaten gestanden war. Leistung, Aufstieg, Sicherheit war zu lesen. Die SPÖ war ein Versprechen für eine bessere Zukunft. Und das ist etwas anderes als der Slogan „Hol dir, war dir zusteht“– ein Slogan, der suggeriert, dass man nur jemand anderem etwas wegnehmen müsse, der sich das vielleicht sogar ungerechtfertigterweise angeeignet hat, damit es einem selbst besser geht. Da hat sich wohl so mancher gefragt, wie eine Partei, die seit dem Jahr 1970 fast immer den Bundeskanzler stellte, dies zulassen konnte, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Die Flüchtlingskrise, die viele Bürgerinnen und Bürger zusätzlich verunsichert hat, hat wohl ebenfalls zu diesem Wahlergebnis beigetragen. Die Diskussion um die Flüchtlingskrise hat außerdem gezeigt, dass die SPÖ schon lang keine geschlossene Partei mehr ist. Der linke und der rechte Parteiflügel stehen sich unversöhnlich gegenüber. Christian Kern hat also einiges vor sich, wenn er die SPÖ wieder zur Nummer eins in Österreich machen will.
Wobei man nicht außer Acht lassen darf, dass Österreich bereits vor dieser Nationalratswahl keine linke Republik gewesen ist. Schon seit Längerem gibt es in Österreich eine stabile konservativ-rechte Mehrheit. Bereits bei der vergangenen Nationalratswahl hatten etwa 55 Prozent ÖVP, FPÖ, Team Stronach und das BZÖ gewählt. Bei der jetzigen Wahl sind es nur um zwei bis drei Prozentpunkte mehr. Christian Kern und die SPÖ müssen sich einiges einfallen lassen, um sozialdemokratische Inhalte in der Bevölkerung wieder attraktiver zu machen.
Gleichzeitig steht Kern ein harter Kampf um die Macht bevor. Die SPÖ hat nach wie vor Chancen, in der Regierung Sitz und Stimme zu haben. Sowohl eine rot-blaue als auch eine schwarze-rote Zusammenarbeit ist rechnerisch möglich. Beides ist nicht ganz einfach. Ein Teil der Sozialdemokratie ist nach den Zerwürfnissen in der bisherigen Regierung strikt gegen eine weitere Zusammenarbeit mit der Volkspartei, ein anderer Teil lehnt eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ebenso vehement ab. Noch dazu gibt es einen gültigen Parteitagsbeschluss, der eine Koalition mit den Freiheitlichen ausschließt. Mit Christian Kern möchte man im Moment wirklich nicht tauschen.