Schicksalstag Die Koalitionspartner in Barcelona machen massiv Druck
Heute Vormittag läuft Spaniens Ultimatum an Katalonien ab. Wenn die separatistische Regierung nicht einlenkt, droht ihr die Absetzung. Neuwahlen könnten ein Ausweg sein.
MADRID, BARCELONA. Auf dem Dach des Palasts der katalanischen Regierung in der Altstadt Barcelonas wehen zwei Fahnen im Wind: die Flagge Kataloniens und die Flagge Spaniens. Ganz so, wie es laut spanischem Gesetz auf allen öffentlichen Gebäuden in der Region Katalonien sein muss. Doch wie lange noch?
Unten, in den Büroräumen des katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont, beraten seit Tagen die führenden Köpfe der Separatistenbewegung, wie es nun weitergeht. Sollen sie den katalanischen Unabhängigkeitsprozess, der weder von Spanien noch von der Europäischen Union anerkannt wird, ohne Rücksicht auf Verluste durchpeitschen? Oder wäre es nicht klüger, der Aufforderung der spanischen Regierung und Brüssels, keine einseitigen Schritte zu unternehmen, nachzukommen?
Bis heute, Montag, 10.00 Uhr, muss Puigdemont definitiv erklären, ob seine Separatistenfront am vergangenen Dienstag tatsächlich schon eine unabhängige katalanische Republik ausgerufen hat oder nicht. Das ultimative Schreiben des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy lässt Puigdemont keinen Spielraum mehr zu rhetorischen Erklärungen oder widersprüchlichen Zügen, mit welchen er in der Vergangenheit seine Absichten vernebelt hatte. Heute muss Puigdemont, so steht es im schriftlichen Ultimatum, mit Ja oder Nein antworten.
Soweit er mit Ja antworten sollte, werden ihm drei Tage, also Zeit bis Donnerstag, eingeräumt, um die einseitige Unabhängigkeitserklärung zurückzunehmen und alle unilateralen Schritte Richtung Abspaltung zu stoppen.
Spaniens Verfassungsgericht hatte in der Vergangenheit alle Be- Ralph Schulze berichtet für die SN aus Spanien schlüsse der katalanischen Regierung hinsichtlich des Unabhängigkeitsprozesses für illegal erklärt, weil diese nicht Spaniens Gesetzen entsprechen. Puigdemont hatte dies jedoch ignoriert. Sowohl das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober wie auch begleitende Gesetze zur Abkoppelung der Region von Spanien waren von den Verfassungsrichtern suspendiert worden.
Sollte Kataloniens Separatistenchef das Ultimatum nicht erfüllen, könnten seine Tage als Regierungschef bald gezählt sein. Dann wird Rajoy, so steht es in dem ultimativen Brief, den Paragrafen 155 der spanischen Verfassung aktivieren. Dieser ermöglicht, dass die Zentralregierung in einer Region die Kontrolle übernimmt, wenn deren politische Führung fortgesetzt gegen Recht und Gesetz verstößt.
Puigdemont könnte also, wenn er sich weiter den Anordnungen Madrids verweigert, abgesetzt werden. Auch die Auflösung des Regionalparlaments, in dem die Separatisten eine knappe Mehrheit halten, ist möglich.
Doch nach den Informationen, die aus dem Regierungspalast in Barcelona dringen, sieht es nicht danach aus, als ob sich Puigdemont beugen wollte. „Er wird nicht einknicken“, prophezeite ein Vertrauter. Zumal der Druck aus seiner Unabhängigkeitsfront, die sich aus drei Parteien zusammensetzt, sehr groß sei. Vor allem seine beiden Partner, die antikapitalistische Linkspartei CUP und die republikanische ERC, drängen darauf, den Unabhängigkeitsplan jetzt erst recht durchzuziehen. Sie zeigen sich kompromisslos: Man könne nur über ein einziges Ziel sprechen, bekräftigte ERC-Chef Oriol Junqueras am Wochenende: „Den Aufbau einer katalanischen Republik.“
Da wird es möglicherweise wenig helfen, dass aus Puigdemonts bürgerlicher Partei PDeCat bremsende Stimmen kommen. Denn ohne den Segen seiner beiden linken Reisegefährten, die schon mit dem Ende der Zusammenarbeit drohen und die er für seine parlamentarische Mehrheit braucht, kann Puigdemont keinen Schritt tun. Ein Ausweg könnten vorgezogene Neuwahlen in Katalonien sein.
Zum Ultimatum aus Madrid kam es nach zwei Schachzügen Puigdemonts vergangene Woche: Da hatte der Separatistenführer im katalanischen Parlament zunächst seinen Willen bekräftigt, die spanische Region Katalonien „in einen unabhängigen Staat in Form einer Republik“ zu verwandeln. Was als indirekte Unabhängigkeitserklärung verstanden worden war.
Aber zugleich hatte er vorgeschlagen, die konkrete Umsetzung der Abspaltung auszusetzen, um mit Spaniens Regierung über die Unabhängigkeit zu verhandeln.
Am gleichen Abend, einige Stunden nach der Parlamentsrede, unterzeichneten aber Puigdemont und alle anderen 71 Abgeordneten seiner Separatistenfront eine unmissverständliche Erklärung, in der es hieß: „Wir konstituieren die katalanische Republik, als unabhängigen und souveränen Staat.“Zudem wurde in dem unterzeichneten Papier versichert, dass der „verfassunggebende Prozess“für eine katalanische Republik gestartet und ein Übergangsgesetz aktiviert wird, das die Übernahme aller staatlichen Kompetenzen in Katalonien regelt.
Kataloniens wichtigste Tageszeitung, die in Barcelona erscheinende „La Vanguardia“, warnte, den einseitigen Unabhängigkeitskurs fortzusetzen: „Fast 600 Unternehmen haben in den vergangenen Tagen Katalonien verlassen. Europa und die Welt widersetzen sich der Abspaltung. Das Bild ist verheerend.“