Wie digital wird unsere Arbeitswelt?
Das Internet erlaubt neue Geschäftsmodelle. Anders wäre das Sozialsystem gar nicht mehr finanzierbar, sagt ein Münchner Professor.
SN: Die Debatte über Digitalisierung lässt die Emotionen hochgehen. Warum? Dieter Spath: Es geht es um digitale Transformation, die digitale Elektronik haben wir ja seit über 30 Jahren. Die große Veränderung ist das überall verfügbare leistungsfähige Internet. Das erlaubt, Gegenstände in die Kommunikation einzubeziehen, das Internet der Dinge. Darin steckt viel Potenzial, neue Geschäftsmodelle zu kreieren und Services mit Produkten zu verknüpfen. Die Chancen muss man wahrnehmen, da entsteht wirtschaftlicher Fortschritt.
SN: Die einen sehen darin den Anbruch einer schönen neuen Welt, andere bangen um ihre Jobs. Wer hat Recht? Ich bin überzeugt, dass die Chancen größer sind als die Risiken. Wir haben wiederholt gesehen, dass sich die Dinge bei technischen Revolutionen ausbalancieren und letztlich mehr Arbeitsplätze entstehen als verloren gehen. Und wir müssen auch berücksichtigen, dass es in den nächsten Jahren eine große demografische Lücke geben wird, weil uns viel weniger Beschäftigte zur Verfügung stehen. Es gibt einen hohen Rationalisierungsdruck, damit unser Sozialsystem weiter funktioniert. Gleichwohl wird es notwendig sein, im Übergang Härten zu vermeiden.
SN: Ohne Digitalisierung kämen wir da in ernsthafte Bedrängnis? Wir müssen dringend die Produktivität erhöhen. Das geht durch Rationalisierung und durch Innovationen mit margenstarken Produkten. Wir müssen Innovationen anregen und an der Rationalisierung arbeiten, um produktiver zu werden. Und wir müssen schauen, dass unsere Standorte attraktiv sind, unsere Bildungssysteme und die Weiterbildung gut funktionieren. SN: Da ist die Politik gefordert? Ja, aber auch alle anderen. Die Menschen sind ja eigenverantwortlich für ihre Bildung und ihr Wissen. Wir brauchen in höherem Maße Weiterbildungsmaßnahmen wie Qualifizierungszertifikate. Weil wir die Menschen nicht ohne Weiteres entbehren können für jahrelanges Schulbankdrücken, muss Weiterbildung mehr im Job stattfinden als im Hörsaal. Die Qualifizierung muss mit der Durchsetzung der Technik synchron mitziehen.
SN: Wie muss die Weiterbildung aussehen? Tablets in der Volksschule reichen ja wohl nicht. Es geht nicht darum, ein Tablet bedienen oder Software programmieren zu lernen. Es geht darum, die neuen Prozesse zu verstehen. Wenn beispielsweise im Sinn der Industrie 4.0 ein Mitarbeiter in der Produktion Daten in Echtzeit nutzen soll, braucht er ein Überblickswissen über die Produktion. Er muss aber nicht wissen, wie die Daten da reingekommen sind.
SN: Wie sehr macht Digitalisierung die Produktion effizienter? Eine Pilotstudie von Ende 2016 zeigt wirtschaftliche Verbesserungen und die Verringerung von Durchlaufzeiten in einer Größenordnung von zehn bis 15 Prozent, umfassende Daten gibt es noch nicht. 56 Prozent der Unternehmen sehen grundsätzlich eine Verbesserung der Kosteneffizienz. Ich denke, das muss noch mehr werden.
SN: Droht Europa durch die Digitalisierung gegenüber anderen Wirtschaftsräumen ins Hintertreffen zu geraten? Es gibt dazu einige sehr erfolgreiche und hoch bewertete Geschäftsmodelle in den USA. Dort sind verbraucherorientierte Geschäftsmodelle, also B2C-Modelle, wie Amazon oder Google sehr groß geworden. In Europa sind wir stärker im B2B-Bereich (Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen, Anm.). Es ist klar, dass sich ein Land mit einer starken Ausrüstungsindustrie und Industrieproduktion wie Deutschland hier anders auf den Weg macht als ein Land, das sich schon länger mit Dienstleistungen beschäftigt.
SN: Für Industrie und Handel liegt der Einsatz von Digitalisierung nahe, aber in der Dienstleistung wohl weniger? Im Gegenteil, smarte Dienstleistungen sind der große Hype. Wenn Ihr Produkt über digitale Transformation kommunikationsfähig wird, können Sie damit in Verbindung bleiben, aus dem Gebrauch lernen und Dienste nachliefern. Wenn wir früher etwas verkauft haben, war es weg, höchstens der Kundendienst hat es wiedergesehen, wenn etwas zu reparieren war. In Zukunft bleiben Sie mit dem Produkt in Kontakt, daraus ergibt sich ein anderer Leistungsaustausch zum Kunden.
SN: Ein Beispiel, bitte. Wenn man früher eine Kaffeemaschine gekauft hat für das Büro, hat man das Pulver und zwei Mal im Jahr den Service bestellt. Mit den Mitarbeitern hat man eine Abrechnung ausgemacht für den Kaffee. Eine cyberphysikalische – also digitalisierte – Kaffeemaschine dagegen müsste man wahrscheinlich gar nicht kaufen, sie würde zur Verfügung gestellt. Die Maschine weiß selbst, wann sie Pulver und Service braucht. Wenn sich ein Mitarbeiter mit seiner Businesskarte identifiziert, wird der Kaffee direkt mit ihm abgerechnet. Für das Unternehmen ist das ein Sorglos-Modell. Und der Hersteller arbeitet direkt mit den Endkunden – ein völlig neues Geschäftsmodell mit dem gleichen Produkt. Der Anbieter muss das zwar vorfinanzieren, dafür bekommt er aber dann die Daten, die er früher nicht hatte, er weiß, wie viele Espressi oder Latte Macchiati laufen. Er kann sein Geschäft und den Einsatz seiner Produkte optimieren.
SN: Abgesehen von Kaffeemaschinen – wo werden wir die digitale Transformation in nächster Zeit erleben? Bei dem, was man im weitesten Sinn mit „künstliche Intelligenz“umschreibt. So hat die Sachbearbeitung von Verwaltungsprozessen in nächster Zeit ein ganz wichtiges Rationalisierungspotenzial. Viele routinemäßige Verwaltungsprozesse werden durch intelligente Software ersetzt. Ein Beispiel dafür ist die Versicherungswirtschaft. Die Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen ist etwa schon hochgradig automatisiert.
SN: Brauchen wir einen Minister oder Staatssekretär für Digitalisierung? Darin sehe ich nicht unbedingt einen großen Vorteil. Das Problem besteht ja darin, dass Digitalisierung alles und jedes betrifft, es kann sich eigentlich niemand diesem Thema entziehen. (Die deutsche Verteidigungsministerin) Ursula von der Leyen zum Beispiel hat sich kürzlich mit dem Thema Cyberwar befasst. Wichtig ist, dass wir diese Erkenntnisse dann gut austauschen und gegenseitig lernen von den Erkenntnissen in Teilbereichen. Aber ob das wirklich von einem spezialisierten digitalen Minister gefördert wird, wage ich zu bezweifeln. Auch in Unternehmen wird immer wieder diskutiert, ob Digitalisierung ein Vorstandsressort sein sollte. Das sehe ich eigentlich nicht. Man sollte nicht irgendjemandem diese Verantwortung in die Hand drücken und sich damit aus der Verantwortung zurückziehen, das wäre dumm.
Zur Person: Dieter Spath (*1952) studierte Maschinenbau an der TU München. Er war Geschäftsführer der Kasto-Gruppe und lehrte an den Universitäten Karlsruhe und Stuttgart. Spath leitet auch das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Das Interview entstand am Rande des Deutsch-Österreichischen Technologieforums in Wien. Veranstalter war die Deutsche Handelskammer (DHK) in Österreich.