Zum Abschied einer Ära flogen im Saloon die Fäuste
Am Sonntag ging in Graz der steirische herbst zu Ende. Nach 12 Jahren hört Intendantin Veronica Kaup-Hasler auf.
GRAZ. Sie hat die New Yorker OffOff-Truppe 2007 mit dem Stück „No Dice“in Europa bekannt gemacht, jetzt zum Abschied der Intendanz von Veronica Kaup-Hasler setzte das Nature Theater of Oklahoma einen fulminanten Schlusspunkt. In einer Zusammenarbeit mit der slowenischen EnKnapGroup präsentierte sich das Stück „Pursuit of Happiness“als eine ebenso intelligente wie rotzfreche Tour de Force in Sachen Glückssuche, deren Verlauf vom Wilden Westen direkt ins Kriegsgebiet bei Bagdad führt.
Was mit einschlägigem Tequilaglas-Schupfen, gestischen Kraftmeiereien und Spuckorgien beginnt, endet im Granatenhagel und Drohnenbeschuss im Irak. Können Cowboytänze im Konflikt zwischen Einheimischen und UNO-Blauhelmen vermitteln? Das Sextett vermittelt mit Ironie, Eindringlichkeit und hoher Perfektion allgemein gültige Fragen wie jene: Was kann Kunst bewirken? Wie sieht die Schattenseite des amerikanischen Traumes aus? Und was ist überhaupt ein erfülltes Dasein?
Die rasant erzählte Geschichte handelt auch von der Beliebtheit und dem Heilsversprechen eines österreichischen Energydrinks sowie von einer großen Verzweiflung, die da Leben heißt: Ein packender, würdiger Abschluss des Festivals, das heuer seine 50. Ausgabe feierte.
Mit dem üppigen Jubiläumsherbst ist auch eine Ära zu Ende gegangen. 12 Jahre lang, so lang wie kein anderer Intendant zuvor, stand Veronica Kaup-Hasler an der Spitze des steirischen herbst. Kaup-Hasler hat dem Festival ihren Stempel aufgedrückt. Will heißen: Sie vollzog eine radikale Abkehr von prestigeträchtigen Stückaufträgen und traditionellen Theaterformen, brachte stattdessen die internationale OffSzene mit losen Grenzziehungen zu den Bereichen Performance, Tanz und Aktion in die Uhrturmstadt. Eine Vielzahl kleinteiliger Bühnenwerke löste die große Uraufführung ab, zu der einst das deutschsprachige Feuilleton nach Graz gepilgert war. Die Folgen: ein neues Publikum und Kopfschütteln bei Traditionalisten.
Das von ihrem Vorgänger Peter Oswald stark geförderte Musiktheater war nicht die Domäne von Veronica Kaup-Hasler. Auch bei der bildenden Kunst gibt es Luft nach oben. Positiv: Die Intendantin entsagte dem Skandalisierungsritual, über das sich das Festival – gewollt oder ungewollt – lange Zeit definierte. Kaup-Hasler setzte – auch dem Zeitgeist entsprechend – auf transdisziplinäre Kunst und neue Formen der Publikumsbeteiligung. War doch der über Symposien und Vorträge verhandelte Wissenstransfer in der Festivalhistorie lang eine Einbahnstraße. Nach Angaben des Festivals haben rund 600.000 Menschen die herbst-Veranstaltungen in der Ära Kaup-Hasler (2006 bis 2017) besucht. 50.000 sollen es heuer gewesen sein. „So arbeiten zu dürfen ist ein Glück. Dieses Festival strahlt“, sagte Kaup-Hasler zum Abschied.
Die Intendantin hat das Festival verjüngt, breiter aufgestellt und ein internationales Netzwerk aufgebaut. Die Verdienste der Theaterfachfrau dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass 12 Jahre für eine herbst-Intendanz ein zu langer Zeitraum sind. Mit Kaup-Haslers Nachfolgerin Ekaterina Degot zeichnet sich ein deutlicher Bruch zu altbekannten und vielen lieb gewordenen Traditionen ab. Und das ist gut so. Damit die Behauptung, wonach sich der herbst jedes Jahr neu erfinden müsse, nicht als Stehsatz in Politikerreden verkommt.