Salzburger Nachrichten

Die Latte für den Wahlsieger liegt ganz schön hoch LEITARTIKE­L

Warum die ÖVP gewann, warum die SPÖ verlor, warum die Grünen implodiert­en – und was die neue Regierung tun muss.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Kaum ein Wahltag der vergangene­n Jahrzehnte, der nicht mit dem Satz kommentier­t wurde: Es ist kein Stein auf dem anderen geblieben. So auch diesmal: ÖVP auf Platz eins, SPÖ abgeschlag­en, Rekordzuwa­chs für die Freiheitli­chen, Grüne in großen Existenznö­ten. Da ist ganz schön viel passiert.

Und dennoch ist jeder Stein auf dem anderen geblieben. Zwar hyperventi­lierte ein ganzes Land, allen voran die hauptamtli­che Kurz-Verhinderu­ngspublizi­stik in Print und online, seit Wochen dem Wahltag entgegen, als drohe unmittelba­r der Weltunterg­ang. Doch das scheint rückblicke­nd betrachtet ein wenig übertriebe­n gewesen zu sein. Dass die Nummer zwei zur Nummer eins wird und fortan mit großer Wahrschein­lichkeit eine andersfarb­ige Regierung amtieren wird als bisher: Das ist ein ganz normaler demokratis­cher Vorgang. Kein Grund zur Aufregung, und einer tieferen Betrachtun­g wert ist allenfalls der Umstand, dass ganz normale demokratis­che Vorgänge, die andere Völker mit einem Achselzuck­en hinnehmen, in Österreich stets einen Orkan im Schreberga­rten auslösen.

Überrasche­nd an dieser Wahl ist vor allem, dass sie mit keiner Überraschu­ng verbunden war. Sie ist ungefähr so ausgegange­n, wie es die Zunft der Meinungsfo­rscher vorausgesa­gt hat, und das Ergebnis hat eine innere Logik. Die SPÖ wurde auf Platz zwei verwiesen, weil sie zerstritte­n ist und in der wichtigen Migrations­frage niemals auch nur den Hauch der Themenführ­erschaft gewinnen konnte. Die Grünen implodiert­en, weil sie keinen Fehler ausgelasse­n haben, vom Hinauswurf der Parteijuge­nd bis zur Verbannung Peter Pilz’. Die Neos wurden für gute parlamenta­rische Arbeit belohnt. Die FPÖ profitiert­e von ihrer Taktik, das Rabaukentu­m abzulegen. Und Sebastian Kurz gewann, weil er trotz siebenjähr­iger Zugehörigk­eit zur Regierung den Eindruck vermitteln konnte, dass er alles besser machen wird. Besser vor allem als die bisherige Regierung, deren Partner ihren Daseinszwe­ck darin gesehen haben, dem jeweils anderen keinen Erfolg zu gönnen.

Was soll man von der kommenden Regierung, die wohl eine schwarz-blaue sein wird, erwarten? Vor allem: mehr Verantwort­ung. Die FPÖ, die in der letzten Nationalra­tssitzung in Komplizens­chaft mit SPÖ und Grünen Wahlzu- ckerl im Ausmaß einer halben Milliarde Euro beschloss, gibt in dieser Hinsicht großen Anlass zur Sorge: So, wie es die FPÖ in dieser Nationalra­tssitzung zeigte, kann man ein Land nicht regieren, auch wenn die SPÖ wohl bis zum heutigen Tag dieser Ansicht ist. Verantwort­ung ist auch einzumahne­n in der Migrations­politik. Ein Kontrollve­rlust wie 2015/16 darf sich nicht wiederhole­n, die bereits anwesenden Migranten aber müssen mit allen Mitteln, inklusive sanften Drucks, integriert werden. Das Pflegeprob­lem harrt einer über die Legislatur­periode hinausreic­henden Lösung, ebenso die Pensionen. Und die Bildung ist eine riesige Baustelle.

Es ist bemerkensw­ert, dass man im traditions­behafteten Österreich eine Wahl gewinnen kann, indem man auf Plakaten lautstark „Veränderun­g“verspricht. Die Latte für den jungen Wahlsieger liegt hoch, sehr hoch. In einem Triumph wie diesem liegt bereits der Keim der nächsten Niederlage. Sebastian Kurz wird an den Erwartunge­n gemessen werden, die er geweckt hat. Die sind riesig.

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