Ein gutes Rezept stillt jeden Mordshunger
Krimis mit Triestiner Lokalkolorit sind seine Spezialität: Mit seinem „Scherbengericht“serviert Veit Heinichen nun erneut Raffinesse.
„Die Leute haben das Kochen verlernt“, sagt ein Händler gegen Ende des Romans resigniert. Dabei könnte ein gutes Gericht so einfach zu zaubern sein. Oft würden dafür sogar die paar Dinge reichen, die sich noch daheim im Kühlschrank oder im Kasten finden lassen. Man nehme etwa ein paar Anchovis, Mandelblätter, Majoran sowie genügend Pasta: Mehr braucht es nicht für schnelle, exquisite Küche. Die Zutaten für seine geschwind improvisierten Kreationen findet der Protagonist in Veit Heinichens jüngstem Krimi, ein nach 17 Jahren aus dem Gefängnis entlassener Haubenkoch, in den Wohnungen der Menschen, die er heimlich bekocht. Und Heinichen beschreibt die Mahlzeiten so, dass man sie zu Hause gleich nachkochen möchte. Nur von der letzten Zutat, mit der Aristèides Albanese jedes seiner Spezialgerichte garniert, muss dringend abgeraten werden: Mit Rizinusöl und -samen, die in der entsprechenden Dosis Magenkrämpfe und Durchfall bis zum Tod verursachen können, will er sich bei zwölf opportunistischen Triestinern rächen, die ihn einst mit falschen Zeugenaussagen ins Gefängnis gebracht hatten. Auch Heinichens Ermittler Proteo Laurenti spielte damals eine wenig glanzvolle Rolle.
Man nehme einen Commissario, der alle charakterlichen Stärken und Schwächen mitbringt, die ein langlebiger Krimiheld braucht, eine Stadt, die nicht nur viel Lokalkolorit hergibt, sondern auch reichlich Stoff für historisch verwurzelte Konflikte. Und man streue auch allerhand weiteres Personal ein, das einer Erzählung Leben einhauchen kann. Mit diesen Zutaten kreierte Bestsellerautor Heinichen 2001 seinen ersten Triest-Krimi um Proteo Laurenti, der im Grenzgebiet zwischen Italien und Slowenien von Beginn an auch kulinarischen Spürsinn bewies. „Scherbengericht“ist nun der zehnte Fall des Ermittlers. Beim Krimifest „Peng!“(siehe Artikel rechts) stellt Heinichen den Roman in Salzburg vor. Abgesehen von den Unappetitlichkeiten, die Albaneses Racheplan zwangsläufig mit sich bringt, beweist Heinichen erneut viel Raffinesse. Das Beziehungsgeflecht zwischen den handelnden Personen ist fast so verschlungen wie das Libretto einer Verdi-Oper. In seine Erzählung holt der Autor hingegen wie immer viel Realitätsbezug herein: Untertags kocht Aristèides für Flüchtlinge, in der Nacht patrouilliert eine selbst ernannte Bürgerwehr in den Straßen Triests. Zwischen Gut und Böse zieht Heinichen in seinem Sittenbild indes keine strikten Trennlinien. Zum einen ist der Rächer, auf dessen Konto immer mehr Vergiftungen zu gehen scheinen, keineswegs die unsympathische Figur im Krimi. Zum anderen ist der Hang zu Illegalem auch nicht korrupten Politikern, käuflichen Zeugen und betrügerischen Firmen vorbehalten. Selbst Laurentis Sohn träumt davon, im elterlichen Haus ein Privatrestaurant unter Umgehung des Finanzamts zu betreiben: Das Talent für raffinierte Gerichte hat auch er.