Opernbühne für das schlaue Füchslein
Das Cleveland Orchestra und Franz Welser-Möst warten beim Wiener Gastspiel mit einem besonderen Projekt im Musikverein auf.
WIEN. Die Oper gilt als komplexeste und aufwendigste Kunstform. Immer wieder wird aber versucht, sie aus einem fixierten institutionellen Korsett zu lösen. Vor Jahren etwa versuchte man so im Linzer Brucknerhaus, konzertante Aufführungen auch sparsam zu bebildern.
Einen innovativen Weg beschreitet seit einiger Zeit das von Franz Welser-Möst geleitete Cleveland Orchestra in seinem Domizil, der Severance Hall. Es begann, so erzählte der österreichische Chefdirigent, mit der Adaption von Mozarts Da-Ponte-Opern, die er mit SvenEric Bechtolf als Regisseur für Zürich erarbeitet hatte. Dem folgten „Daphne“von Richard Strauss und das Bartók-Doppel „Der wunderbare Mandarin“und „Herzog Blaubarts Burg“, für die dezidiert junge Regisseure verpflichtet wurden mit dem Wunsch, aus dem Konzertraum heraus genuine szenische Aktionen zu entwickeln. Das seien, so Welser-Möst, weit mehr als bloß „halbszenische“Aufführungen. Er spricht von „multimedialen OpernInstallationen“, die auch ästhetisch neue Wege eröffnen. Das vorläufige Meisterstück ist am 19. und am 20. Oktober im Wiener Musikverein zu erleben: Janáčeks Märchenparabel „Das schlaue Füchslein“, die sich für diese Art von Visualisierung besonders anbietet und zudem „werkgetreu“insofern sei, als Janáček die Idee für seine dreiaktige, zwischen 1921 und 1923 entstandene Oper aus einem Fortsetzungs-Comicstrip in einer Brünner Tageszeitung schöpfte. Das war für die kreative technische Equipe des Regisseurs Yuval Sharon (der auch schon an der Wiener Staatsoper inszenierte und für die Bayreuther Festspiele 2018 „Lohengrin“erarbeitet) der Anlass für eine raumgreifende Bildanimation, in der (und aus der heraus) die Sängerinnen und Sänger agieren.
Erstaunlicherweise, so WelserMöst, sei das „einfache, aber raffinierte“Konzept nicht so aufwendig, wie es sich anhören mag. Aufwendig sei aber der Kreationsprozess gewesen – „wobei die Amerikaner uns technologisch da weit voraus sind“. Das gehe sogar so weit, dass er sich als Musiker nicht dem Bildfluss anpassen müsse, sondern umgekehrt: Per Computersteuerung kann sich das Bild im Moment auf die musikalischen Tempi einlassen.
Insgesamt ermögliche die Darstellung des Märchenhaften mit diesen Animationstechniken neue Möglichkeiten, die auf konventionellen Bühnen so nicht darstellbar seien, schwärmt der Dirigent. „Und eigentlich ist das, gemessen an obligaten Opernkosten, auch nicht wirklich kostspielig.“Die „Inszenierung“kann von Ort zu Ort relativ rasch angepasst werden, natürlich nur in „Schuhkasten“-Konzertsaalarchitekturen. In der neuen Elbphilharmonie wäre das nicht möglich, weil ja das Podium mitten im Auditorium steht. Wie sich der Wiener Goldene Saal eignet, werden die – längst ausverkauften – Aufführungen zeigen.
Was in Cleveland daraus geboren wurde, zum einen eine vorhandene Operntradition zu erneuern, zum anderen mit ungewöhnlichen Darstellungsformen für heute zu beleben, eröffne nicht nur dort flexible Möglichkeiten für das Musiktheater. Also will Welser-Möst neugierig und offen auch über die kommende Jubiläumssaison zum 100-jährigen Bestehen des Orchesters hinaus das Konzept weiterverfolgen und verfeinern: den Horizont möglichst weit aufmachen, nennt er es. Mit Debussys „Pelléas et Mélisande“, ebenfalls von Sharon inszeniert, ist schon der nächste Schritt gesetzt, es folgt „Ariadne auf Naxos“und 2020 Alban Bergs „Lulu“.
Und „unser sehr treues Publikum“in der 400.000-EinwohnerStadt in Ohio, die zudem das jüngste Konzertpublikum der USA besitzt („20 Prozent unserer Besucher sind unter 25“), nimmt das Angebot solcher spannenden Innovationen mit Begeisterung wahr. Das Orchester, so Welser-Möst, sei seit 100 Jahren „der Stolz der Stadt“, sein Wirken „in die DNA dieser Stadt eingeschrieben“, und der Rückhalt gibt der vielfältigen und versatilen künstlerischen Arbeit Sinn und Richtung. Die Strahlkraft wirkt international, und Wien ist nicht nur Durchreisestation auf Tourneen, sondern ein Fixpunkt dank ausgedehnter Residenzen. Nach dem Janáček-Schwerpunkt (und weiteren Konzerten mit Werken von Beethoven, Strawinsky und Mahler) folgt von 24. bis 28. Mai 2018 das nächste Projekt: Beethovens Symphonien nicht als obligate „Neuner-Folge“, sondern eingebettet in und erklärt aus ihrem philosophisch-ideengeschichtlichen Kontext. Oper:
„Die Amerikaner sind uns technologisch meilenweit voraus.“