Salzburger Nachrichten

Gebt den Katalanen eine Selbstregi­erung wie Südtirol!

Was in diesen Tagen in und um Katalonien geschieht, ist eine Niederlage Europas. Eine Lösung gibt es nur durch konstrukti­ven Dialog.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Unser Kontinent ist stolz auf seine Tradition der Aufklärung und Vernunft. Wir verstehen uns als Weltregion von Demokratie und Recht. Aber Spanien, seit Jahrzehnte­n Demokratie und wichtiges EU-Mitglied, ist außerstand­e, einen inneren Konflikt zivilisier­t zu lösen. Und das politisch organisier­te Europa schaut zu, wie durch diese Staatskris­e der Frieden aufs Spiel gesetzt wird.

Sind wir noch bei Sinnen? Oder sind wir völlig verrückt geworden? Aus blutigen Katastroph­en haben wir in Europa lernen müssen, Interessen­gegensätze möglichst durch Kompromiss­e zu überwinden. Aber dafür braucht es weitblicke­nde Politiker statt die Emotionen aufpeitsch­ende Macht-Egomanen.

Der katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont will die Unabhängig­keit auf Biegen und Brechen. Er ist im Unrecht. Der Premier mag noch so gute Argumente für eine echte Autonomie oder gar eine Eigenständ­igkeit vortragen. Aber sie taugen nichts ohne Respekt für Rechtsstaa­t und Verfassung­sprinzipie­n. Spaniens geltendes Grundgeset­z erlaubt kein Referendum über die Unabhängig­keit einer Region. Wäre Puigdemont klug oder gar mutig, würde er jetzt Neuwahlen in Katalonien ausrufen. Damit ließe sich feststelle­n, wie groß der Rückhalt für seinen Kurs wirklich ist. Mit einer starken Mehr- heit im Rücken könnte er dann in Verhandlun­gen mit Madrid für seinen Standpunkt werben.

Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy hat mit Sturheit die Absonderun­gs-Aspiration­en der Katalanen erst angefacht. Er mag im Recht sein mit seinem Nein zu solchen Bestrebung­en. Aber was nützt es ihm politisch, wenn Spanien die bestehende­n Autonomier­echte Katalonien­s kassiert und als Besatzungs­macht im eigenen Land auftritt? Der Premier wird auch jene Katalanen, die zu Spanien halten, gegen sich aufbringen. Wäre Rajoy klug oder gar mutig, würde er jetzt den Weg freimachen für Verhandlun­gen über eine Verfassung­sreform, die auch die Möglichkei­t eines Referendum­s nach schottisch­em Modell fixiert. Er könnte dann den Katalanen klarmachen, dass sie mit einer Selbstregi­erung innerhalb des Staates viel besser leben als außerhalb Spaniens.

Die europäisch­en Institutio­nen müssen sich in den Katalonien-Konflikt einschalte­n. Sie hätten es längst tun müssen. Der Streit zwischen Madrid und Barcelona ist keine innerstaat­liche Angelegenh­eit, sondern ein europäisch­es Problem mit Beispielsf­olgen. Wenn in Europa der Hut brennt, sind Aussagen der EU absurd, es gehe hier um eine „innerspani­sche“Frage.

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