„Jedes Wunderkind holt es einmal ein“
Gregor Schlierenzauer ist, gemessen an Weltcupsiegen, der erfolgreichste Skispringer aller Zeiten. Mehr geprägt als die Erfolge auf der Schanze haben den 27-jährigen Tiroler allerdings die Erlebnisse abseits davon.
Mehr als alle seine Erfolge auf der Schanze haben den 27-jährigen Gregor Schlierenzauer die Erlebnisse abseits davon geprägt.
Es gibt wenig Dinge, die Gregor Schlierenzauer so widerstreben wie Pressetermine. Noch dazu wenn der ÖSV-Star weiß, dass er mehrere Interviews am Stück geben muss, so wie bei dem medialen Massenauflauf vor einer Woche im Salzburger Europark. Fragen beantwortet er auch einmal mit Gegenfragen, oder er beklagt sich über eine zu wertende Fragestellung. Interviews geraten zwischendurch zu Diskussionen über journalistische Darstellungsformen oder die Wirkkraft von Sprachbildern. SN: Sie sind 27 Jahre alt, starten aber bereits in Ihre 13. Weltcupsaison. Was sagt Ihnen das? Schlierenzauer: Eigentlich sind es zwölfeinhalb Saisonen, denn eine habe ich ja vorzeitig beendet …
Es sagt mir, dass ich alt werde (lacht), nein im Ernst: Ich denke, es ist sicher extrem und in einer gewissen Weise auch nicht normal, wie früh ich in die Weltspitze gekommen bin. Andererseits habe ich schon in jungen Jahren sehr viele Eindrücke sammeln dürfen. SN: Die Auszeit, die Sie angesprochen haben: Wie schwierig war diese Phase im Rückspiegel betrachtet? Das Leben bietet immer wieder Herausforderungen. Für einen Spitzensportler sind es oft Verletzungen, die eine besondere Challenge bedeuten. In der Zeit nach meinem Kreuzbandriss war es mir möglich, mir einen anderen Blickwinkel zu verschaffen. Vielen ist gar nicht bewusst, wie schwierig es ist, immer zu funktionieren, von Erfolg zu Erfolg getrieben zu werden. Im Nachhinein hat diese Auszeit irgendwann kommen müssen. Und bekanntlich wächst man ja an solchen Dingen mehr als bei Erfolgen. Das kann ich inzwischen bestätigen. SN: Wie hat sich denn Ihr Blickwinkel verändert? Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben die Zeit, zu reflektieren. Wenn man mit 16 Jahren in die Weltspitze kommt, heißt das, man hat mit 9, 10 Jahren begonnen, hart zu trainieren. Im Weltcup hatte ich ja auch nie einen Durchhänger. Es war immer noch mehr Erfolg, noch mehr Hype da – und keine Zeit, zur Ruhe zu kommen und die Dinge einmal zu verarbeiten. Das habe ich jetzt gemacht und muss sagen: Ich bin stolz darauf, dass ich den Entschluss gefasst habe, aus dem Rad herauszusteigen, um für einige Zeit etwas anderes zu tun. SN: Nun sind Sie zurück, sprechen aber nicht von einem Comeback, sondern von einem Neustart. Warum? Comeback bedeutet Rückkehr, und ich gehe nicht zurück. Was war, ist lange vorbei. Ich gehe nach vorn. SN: Genussprojekt ist auch so ein Terminus, den Sie im Zuge Ihres Neustarts gern verwenden. Ich lebe nach wie vor meinen Traum und tue das, was ich liebe: Skispringen. Man muss schon auch zwischen den Zeilen lesen: Diese Wunderkinder, die in jungen Jahren schon in der Weltspitze sind, holt es alle irgendwann einmal ein. Wenn du die richtige Balance nicht mehr hast und es zu viel wird, musst du ausbrechen. Bei mir hat sich das alles öffentlich abgespielt. SN: Was sind die größten Unterschiede zwischen dem 16-jährigen und dem heutigen Gregor Schlierenzauer? Der größte Unterschied sind die Erfahrungen, die ich seitdem gesammelt habe. Es gibt kein Richtig oder Falsch, sondern nur die Erfahrung, die mich reifer und letztlich auch stärker gemacht hat. Es fällt mir jetzt leichter, über gewissen Dingen drüberzustehen. Meine Grundeinstellung ist: Wenn man eine öffentliche Person ist, gehört es dazu, dass man analysiert und manchmal auch kritisiert wird. Im Skispringen werde ich ja auch bei jedem Sprung aufs Neue bewertet – in diesem Fall halt mit Haltungsnoten. SN: Sie tasten sich auf dem Weg zurück an die Spitze heran. Wie schwierig ist es für jemanden, der 53 Mal im Weltcup gewonnen hat, kleine Schritte zu gehen? (überlegt lange, richtet sich nach einer Weile auf) Okay … was sind denn kleine Schritte für Sie? SN: Die Plätze elf und fünf im Sommer-Grand-Prix zum Beispiel. Oder ein zweiter Platz bei den Österreichischen Meisterschaften. Sie messen das also an Resultaten. SN: Sind Sie nicht einverstanden mit meiner Frage? Nein, weil sie negativ ist. SN: Warum? Weil es kein Zurück an die Spitze gibt, es ist vielmehr eine ständige Weiterentwicklung. Ich muss schon lachen, wie hier die Außendarstellung ist: Dass Leistung immer nur an Ergebnislisten gemessen wird. SN: So funktioniert doch Spitzensport, oder nicht? Jein. Man muss auch den Menschen und dessen Entwicklung miteinberechnen. Mein Weg ist für mich sehr zufriedenstellend. Ich bin glücklich, wie alles verlaufen ist und wo ich momentan stehe. SN: Dann lassen Sie uns nach vorn blicken: Ist Olympia in Pyeongchang denn schon ein Thema für Sie? Ich schaue derzeit sehr wenig nach vorn, weil mir bewusst geworden ist, dass man gewisse Dinge nicht selbst in der Hand hat. Das Schönste ist doch, wenn es einem gelingt, im Jetzt zu leben. Man sollte jeden Tag dafür nutzen, sein größtmögliches Potenzial abzurufen. Ob dann gerade Olympische Spiele sind oder die Tournee stattfindet, ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist doch, dass man auf dem Weg dorthin viele erfüllende Momente hat. SN: Erleben Sie diese Momente? Es ist gefährlich, immer dem Perfektionismus hinterherzulaufen. Es ist besser, in der Fülle zu leben als im Mangel, sonst denkst du immer: Was habe ich noch nicht, was fehlt mir noch. Es stört mich, wenn jemand sagt: Dem Schlierenzauer fehlt noch eine Olympia-Goldmedaille. Wichtiger ist, dass man sich auf seine Wurzeln besinnt. Warum habe ich damals als Kind mit dem Skispringen begonnen? Weil Emotionen dabei sind, weil es eine megageile Sportart ist, weil das Gefühl in der Luft ein sehr intimes ist. SN: Vermissen Sie das Gewinnen gar nicht? Ihr letzter Weltcupsieg liegt bald drei Jahre zurück. Wen stört’s? Die Medien sollten langsam umdenken. Es gibt so viel negative Berichterstattung. Ich merke doch an Ihrer Körperhaltung, dass Sie das brennend interessiert, was ich jetzt sage, damit Sie eine Schlagzeile für morgen haben. SN: Entschuldigung, ich arbeite nicht für ein Boulevardblatt. Sie kennen offenbar die „Salzburger Nachrichten“schlecht. Ich kenne sie zu wenig gut, das ist positiver formuliert.
„Es ist gefährlich, immer dem Perfektionismus hinterherzulaufen.“Gregor Schlierenzauer, Skispringer