Kurz stiehlt Kern in Brüssel die Show
Der Wahlsieger nützte vor dem Gipfel das Treffen der Konservativen zum Tête-à-Tête mit der EU-Spitze. Ein Parallellauf mit Kanzler Kern.
BRÜSSEL. Ein EU-Gipfel ist in normalen Zeiten der Tag, an dem der Kanzler im Mittelpunkt steht. Bei diesem Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel ist Bundeskanzler Christian Kern zwar dabei. Die Aufmerksamkeit gehört aber dem Sieger der Nationalratswahl, ÖVPChef Sebastian Kurz. Der hatte am Morgen vor dem rituellen Vor-Gipfel-Treffen der Europäischen Volkspartei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und Brexit-Chefverhandler Michel Barnier besucht und ihnen versichert, dass Österreich nicht vom proeuropäischen Kurs abweichen werde. „Ich bin jemand, der nicht nur Europa positiv sieht, sondern auch aktiv in der EU mitgestaltet“, sagte Kurz nach seinen Begegnungen. „Was klar ist: Jede Regierung, die ich bilde, wird eine proeuropäische sein, eine Regierung, die in Europa aktiv mitgestalten möchte.“
Mahnende Worte in Richtung einer möglichen Regierungsbeteiligung der FPÖ hat es laut dem ÖVPChef nicht gegeben. Juncker habe ihm viel Erfolg bei der Regierungsbildung gewünscht. „Wir haben natürlich über die FPÖ gesprochen. Wir haben über alle Parteien in Österreich gesprochen“, sagte Kurz, die Entscheidung werde aber in Österreich getroffen. Tusk schrieb auf Twitter: „Gutes Treffen mit Sebastian Kurz heute, einem echten proeuropäischen Gewinner der österreichischen Wahlen.“
Die EU-Chefs hielten sich mit öffentlichen Kommentaren zur möglichen künftigen Regierungskonstellation in Österreich zurück. Beim EVP-Treffen hat die deutsche Bun- deskanzlerin Angela Merkel, mit der Kurz ein bilaterales Gespräch hatte, dem Vernehmen nach zuerst die Koalitionsverhandlungen in Österreich angesprochen und erst dann ihre eigenen. Bilaterale Gespräche hat Kurz am Rande des Parteigipfels auch mit der norwegischen Ministerpräsidentin Erna Solberg, die mit der rechtspopulistischen Fortschrittspartei regiert, und mit dem neuen irischen Premier Leo Varadkar vereinbart.
Bundeskanzler Kern betonte vor seinem möglicherweise letzten Auftritt in der Runde der EU-Chefs, Österreich werde Kontinuität haben, was die Zuverlässigkeit als europäischer Partner betrifft, „das ist allen klar hier“. Man müsse aber „jetzt in Ruhe die Regierungsbildung abwarten“. Es stünden einige „wichtige Punkte“auf der Tagesordnung, wie Türkei und Brexit.
„Wir haben eine klare Position“, sagte Kern zum Thema Türkei, das beim Abendessen besprochen wurde. Man sei „schon die längste Zeit“der Auffassung gewesen, dass die Beitrittsverhandlungen gestoppt gehörten. Auch die Vorbeitrittshilfen sollten gestoppt werden, aber „nicht jene für die Flüchtlingskooperation“, da würde sich Ankara an seine Verpflichtungen halten.
Für Ankara sind im Zeitraum von 2014 bis 2020 rund 4,45 Milliarden Euro im EU-Budget vorgesehen. Ausgezahlt sind bisher gut 258 Millionen Euro. Auch Merkel, die im Wahlkampf erstmals einen Stopp der Beitrittsverhandlungen gefordert hatte, sprach sich für weniger Geld für die Türkei aus. Die Kürzun- gen dürften aber keinesfalls die Gelder betreffen, welche die EU im Rahmen des 2016 geschlossenen Flüchtlingsabkommens zahle. Die EU stehe zu dem Versprechen, den drei Milliarden Euro, die direkt an syrische Flüchtlinge in der Türkei gehen, eine weitere Tranche in gleicher Höhe folgen zu lassen. Beschlüsse dazu wurden bei diesem Gipfel aber nicht erwartet.
Im Zentrum des Treffens standen gestern, Donnerstag, Migration und die raschere Weiterentwicklung des Digitalen Binnenmarkts und der geplanten Zusammenarbeit in der Verteidigung. Heute, Freitag, wollen die EU-Chefs über eine Verbesserung ihrer Arbeitsmethoden reden. Danach werden die künftigen EU-27 über die „nicht ausreichenden Fortschritte“bei den Brexit-Verhandlungen reden. Laut Zeitplan sollte im Oktober bereits die zweite Phase starten – über die zukünftigen Beziehungen. Im Entwurf der Abschlusserklärung heißt es nun, dass die EU ein positives Votum für den EU-Gipfel im Dezember vorbereitet.