Traum von reicher, unabhängiger Republik droht zu platzen
Immer mehr Unternehmer wandern wegen der möglichen Trennung von Spanien und der EU aus Katalonien ab.
Jeder Tag, den der katalanische Unabhängigkeitskonflikt andauert, ist ein schwarzer Tag für Kataloniens Wirtschaft. Seit dem 1. Oktober, dem Tag des Referendums über die Unabhängigkeit, haben mehr als 800 Firmen die Koffer gepackt. Sie alle eint die gleiche nachvollziehbare Sorge: dass die politische Instabilität und rechtliche Unsicherheit in der Region ihre Geschäfte schädigen könnten. Zumal die EU-Kommission keinen Zweifel daran ließ, dass Katalonien im Falle der Unabhängigkeit von Spanien erst einmal aus der Eurozone und der EU ausscheiden würde.
Mit einem „Katalexit“würde Katalonien auch die Zoll- und Handelsfreiheit des EU-Binnenmarkts verlieren. Dem wollen immer mehr Konzernchefs durch einen Umzug ihrer Zentralen in sichere spanische Regionen vorbeugen. Auch Xavier Gabriel, der mit seiner Lotto-Verkaufsstelle „Bruixa d'Or“(Goldhexe) im Dorf Sort („Glück“) ein Vermögen machte, verlegte seinen Firmensitz. „Es tut mir weh“, sagt Gabriel, der vor 60 Jahren in dem katalanischen Dorf geboren wurde. „Ich liebe meine Heimat, aber ich bin nicht für die Unabhängigkeit.“Nach diesem prospanischen Bekenntnis warf ihm die Unabhängigkeitsbewegung prompt „mangelnden katalani- schen Patriotismus“vor. Gabriel kündigte nun an, alle Investitionen in Katalonien zu stoppen.
Den Träumen der Regionalregierung in Barcelona von einer erfolgreichen katalanischen Republik könnte ein böses Erwachen folgen. Auch weil der Tourismus, Kataloniens wichtigstes Standbein, bereits einbricht. Auf rund 20 Prozent beziffert die Branche den Touristenrückgang in diesen Krisenwochen. Wenn der Konflikt zwischen Barcelona und Madrid nicht bald gelöst werde, könnte es noch weiter abwärtsgehen, heißt es pessimistisch.
Der Kurs des katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont könnte also nicht nur weitere Spannungen, sondern auch einen ökonomischen Crash bringen. Schon jetzt ist absehbar, dass Kata- lonien seine Rolle als Wirtschaftslokomotive Spaniens verlieren wird. Ganz unabhängig davon, ob das Ziel der Unabhängigkeit erreicht wird oder nicht.
2016 wuchs diese Region wirtschaftlich mit 3,5 Prozent noch stärker als Gesamtspanien (3,2 Prozent). Damit trug Katalonien, wo 16 Prozent der spanischen Bevölkerung leben, üppige 19 Prozent zum nationalen Bruttoinlandsprodukt bei. Doch demnächst dürfte Katalonien von der Region Madrid überholt werden. Sie ist derweil auf dem Weg zum neuen ökonomischen Zugpferd der Nation.
Doch wenn die Krisenregion Katalonien schwächelt oder sich sogar abspaltet, wird dies zweifellos auch Spaniens Konjunkturaussichten insgesamt eintrüben. Deswegen musste Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy das für 2018 erwartete Wachstum von 2,6 auf 2,3 Prozent korrigieren. Unabhängige Experten halten sogar eine sehr viel größere Abkühlung für möglich.
Es sind keine guten Perspektiven, weder für Katalonien noch für Spanien. Zumal auch ein Ansteckungseffekt über Spaniens Grenzen hinaus nicht auszuschließen ist. Dies gilt erst recht, wenn eine katalanische Regierung eines Tages mit der Drohung ernst machen sollte, ihre rund 77 Milliarden Euro Schulden bei spanischen Banken und beim spanischen Staat nicht mehr zurückzuzahlen. Dies könnte Spaniens Finanzsystem erheblich ins Wanken bringen – und sogar, so warnen Analysten, eine neue EuroSchuldenkrise heraufbeschwören.
Spanien musste seine Prognosen revidieren