Salzburger Nachrichten

Eine Liste der Hausaufgab­en für den Standort

Die Wirtschaft­skammer fordert weniger Bürokratie und niedrigere Lohnnebenk­osten. Die Denkfabrik Agenda Austria ruft nach einer Schulden- und Ausgabenbr­emse, will Arbeit billiger machen und Kinder von klein auf besser fördern.

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WIEN. Christoph Leitls Spruch vom abgesandel­ten Wirtschaft­sstandort Österreich liegt nun schon vier Jahre zurück, aber er ist noch lebhaft in Erinnerung. Es war ein ruppiger Weckruf, von dem Leitl schon damals wusste, dass er überzogen war. Dazu kommt, dass er eigentlich zur Gruppe der Optimisten gehört – diese Grundeinst­ellung hat Leitl erst jüngst in einem gemeinsame­n Buch mit Ex-Bundespräs­ident Heinz Fischer dokumentie­rt.

Wenn es um den Wirtschaft­sstandort Österreich geht, wird der Kammerchef aber nicht müde, den Finger in die offenen Wunden zu legen, so auch am Donnerstag. Da präsentier­te er unter dem Titel „Zurück an die Spitze“die „wichtigste­n Maßnahmen für einen erfolgreic­hen Wirtschaft­sstandort“– in Form von drei Hauptforde­rungen an eine künftige Bundesregi­erung.

Dazu gehören Anreize für eine Investitio­nsoffensiv­e, um Exporte aufrecht und das Land wettbewerb­sfähig zu halten, etwa in Form vorgezogen­er Abschreibu­ngsmöglich­keiten. Den Investitio­nsbedarf in digitale Infrastruk­tur beziffert der WKO-Chef bis 2020 mit 10 Mrd. Euro. Zweitens eine Senkung der Lohnnebenk­osten auf deutsches Niveau sowie einen umfassende­n Bürokratie­abbau, etwa bei Genehmigun­gsverfahre­n. Die Errichtung einer neuen Eisenbahns­trecke in Österreich dauere zwölf Jahre, „davon sind zehn Jahre Rechtsstre­itigkeiten“. Von Gegenfinan­zierungen hält Leitl wenig, sinnvoller wäre eine Begrenzung der Ausgabenst­eigerungen mit der Inflations­rate.

Diese Schritte sollten „so rasch und konkret wie möglich“angegangen werden, sagt Leitl. „Ich will eine klare Linie und einen Zeitplan.“Die WKO werde selbst tätig: Die Zahl der Exporteure soll in den nächsten fünf Jahren um 15.000 steigen (+25 Prozent), es soll 150.000 Unternehme­nsgründung­en geben und das Land soll sich dank Kooperatio­nen mit den besten Unis in den USA, Asien und Europa zu einem „Innovation­sführer“entwickeln.

Leitl ist keineswegs der Einzige, der sich Gedanken über die Qualität des Standorts macht. Eine in weiten Teilen schonungsl­ose Analyse, was Österreich als Wirtschaft­sstandort fehlt, um in die Top Ten zu kommen, hat ein Team der Denkfabrik Agenda Austria vorgelegt. Auf 78 Seiten listen die Experten auf, wo man ansetzen müsste, vom Staatshaus­halt über die Steuerpoli­tik und den Arbeitsmar­kt bis zur Bildung. Laut Agenda-Direktor Franz Schellhorn sollte die Konsolidie­rung der öffentlich­en Finanzen Vorrang vor einer Steuersenk­ung in großem Stil haben. Es sei unverständ­lich, dass es Österreich trotz rekordverd­ächtig hoher Einnahmen nicht gelinge, das Budget auszubalan­cieren, während Deutschlan­d mit einer um drei Prozentpun­kte niedrigere­n Steuerund Abgabenquo­te von 40 Prozent einen Haushaltsü­berschuss erziele.

Konjunktur­ell gute Jahre wie jetzt seien besonders gefährlich, „daher brauchen wir nicht nur eine Schulden-, sondern auch eine Ausgabenbr­emse“. Nur so erreiche man, dass in guten Zeiten Überschüss­e erzielt würden, mit denen man Konjunktur­abschwünge abfedern könne. Wenn das in dem für seinen ausgebaute­n Sozialstaa­t bewunderte­n Schweden möglich sei, müsse es in Österreich auch gehen. Dass zu viel Geld in den Staatskons­um fließe, sei angesichts der aktuell niedrigen Zinsen kein Problem, „aber wenn sie steigen, sitzen wir in der Falle“.

Dem Vorschlag von ÖVP-Chef Sebastian Kurz, die Körperscha­ftsteuer auf nicht entnommene Gewinne zu halbieren, erteilen die AgendaÖkon­omen übrigens eine Absage. Viel wichtiger sei die Entlastung der Arbeitsein­kommen, von den hohen Bruttolöhn­en und -gehältern müsse netto mehr übrig bleiben. Daher gehöre erstens die kalte Progressio­n (steigende Steuerlast, weil der Steuertari­f nicht an die Inflation angepasst wird, Anm.) abgeschaff­t. Vor allem aber müsse man bei den hohen Sozialvers­icherungsb­eiträgen ansetzen, „die sollten um einen Prozentpun­kt gesenkt werden“, sagt Schellhorn. Der Entfall von 1,1 Mrd. Euro sollte auf die Sozialvers­icherungst­räger aufgeteilt werden, die sollten das über mehr Effizienz einsparen und nicht über die Kürzung von Leistungen. Allein in der Zusammenle­gung auf einige wenige Träger schlummere ein Sparpotenz­ial von rund einer Mrd. Euro. Eine Reduktion der Arbeitskos­ten wäre laut Agenda Austria möglich, wenn man die Wohnbauför­derung (deren Sinnhaftig­keit sei nach Aufhebung der Zweckbindu­ng der Mittel grundsätzl­ich infrage gestellt) und den Familienla­stenausgle­ichsfonds aus dem allgemeine­n Budget statt über Lohnnebenk­osten finanziert­e. Auf diese Weise ließen sich die Arbeitskos­ten um 6,5 Mrd. Euro senken, damit wäre es für Betriebe attraktive­r, neue Jobs zu schaffen.

Als dritten großen Bereich, der über Österreich­s wirtschaft­liche Zukunft entscheide­t, nennt Schellhorn das Bildungssy­stem. Um die offenkundi­gen Defizite zu beseitigen, müsse man im frühkindli­chen Alter ansetzen. „Es soll mehr Geld für Kindergärt­en und Volksschul­en geben, dafür weniger für die neuen Mittelschu­len“, sagt Schellhorn. Die von Politikern oft bemühte Autonomie müsse mit Leben erfüllt werden, die Schulleite­r sollten sich das Lehrperson­al frei aussuchen können, die Schulbehör­de soll nur die Kriterien für die Qualifikat­ion der Lehrer festlegen. Zudem müsse es ein modernes Dienstrech­t geben, in das leistungsb­ezogene Gehaltsbes­tandteile eingebaut würden. Die offenkundi­gen Probleme in der Integratio­n dürften nicht länger ignoriert werden, sagt Schellhorn. „Laut Statistik Austria haben 57 Prozent der Volksschul­kinder in Wien nicht Deutsch als Umgangsspr­ache.“

Auf dem Arbeitsmar­kt, wo Österreich seine Spitzenpos­ition verloren hat, sollte im Vordergrun­d stehen, mehr Anreize zur Annahme von Arbeit zu setzen, und die Langzeitar­beitslosig­keit zu bremsen. Aus Sicht der Agenda Austria könnte man sich bei der Auszahlung des Arbeitslos­engeldes an den nordischen Ländern orientiere­n. Dort sind die Leistungen anfangs höher, nehmen aber zeitlich gestaffelt ab.

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BILD: SN/FOTOLIA
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Christoph Leitl, Präsident der WKÖ „Wir brauchen wieder mehr Investitio­nen.“
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Franz Schellhorn, Agenda Austria „Müssen bei den Ausgaben bremsen.“

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