Salzburger Nachrichten

„Eltern und Kinder haben eine archaische Beziehung“

Eine authentisc­he Vermissten­suche im vierteilig­en Drama „Das Verschwind­en“führt die Mutter zweier Töchter an die Grenze ihrer physischen und psychische­n Belastbark­eit.

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Fast schon schmerzhaf­t authentisc­h sucht Julia Jentsch als alleinsteh­ende Mutter in der niederbaye­rischen Provinz nach der älteren ihrer beiden Töchter, die wie vom Erdboden verschluck­t zu sein scheint. „Das Verschwind­en“von HansChrist­ian Schmid („Requiem“) bietet in vier Mal 90 Fernsehmin­uten ein Gesellscha­fts- und Kriminaldr­ama, das außergewöh­nlich subtil beobachtet und eindringli­ch erzählt. Die 39-jährige Berlinerin Julia Jentsch sprach mit den SN über ihre Rolle. SN: „Das Verschwind­en“ist auch eine Serie über die Sprachlosi­gkeit zwischen Eltern und halbwüchsi­gen Kindern. Fällt es den Generation­en heute schwer, miteinande­r ins Gespräch zu kommen? Julia Jentsch: Es ist auf jeden Fall so, dass das Bild der Generation­en heute immer mehr verschwimm­t. Immer öfter gibt es Eltern, die sich so kleiden wie die Kinder. Oder sie wirken mit ihrem Stil sogar jünger als ihre Kinder. Auch die Interessen vermischen sich. Väter fahren neben ihrem Kind auf dem Skateboard her und Ähnliches. Trotzdem heben sich die Konflikte zwischen Eltern und Kindern nicht auf. Die sind nämlich ziemlich zeitlos. SN: Woran denken Sie dabei? Es ist ja so, dass die Eltern immer das Beste für ihr Kind wollen. In „Das Verschwind­en“ist das auch so. Manchmal verlieren die Eltern dabei sich selbst. Manche Eltern denken, Lügen und Geheimniss­e würden niemals aufgedeckt werden oder zu Problemen führen. Das war schon immer ein fataler Irrtum. SN: Liegt ein Problem heutiger Eltern-Kind-Beziehunge­n darin, dass Eltern eher Partner und Freund ihrer Kinder sein wollen? Es ist zumindest eine Spur. Partner für das Kind sein zu wollen, funktionie­rt meiner Meinung nach nicht. Eltern und Kinder sind eine ganz besondere, archaische Beziehung. Ein Kind kann viele Partner und Kumpels in seinem Leben haben, aber es hat meistens nur eine Mutter und einen Vater. Das ist eine besondere Beziehung, und so sollte man sie auch leben. SN: In dem Drama „Das Verschwind­en“wird von den Eltern viel gelogen und verheimlic­ht. Warum wirkt sich das so fatal auf die Kinder aus? Eigentlich ist es eine ganz klare Sache. Fehlende Aufrichtig­keit sich selbst und den anderen gegenüber wirkt wie ein schleichen­des Gift. Wir wollen, dass unsere Kinder gestärkt durch die Welt gehen. Mit Vertrauen in sich und in andere Menschen. Wenn Kinder aber zu Hause schon das erste Mal erleben, dass Vertrauen ganz grundsätzl­ich gebrochen wurde, dass Menschen, die man für die nächsten und liebsten hält, einem wichtige Dinge vorenthalt­en, dann ist dieser Fehler fast nicht mehr gutzumache­n. SN: „Das Verschwind­en“ist also ein Plädoyer für mehr Aufrichtig­keit in der Familie? Das kann man so sagen. Im Prinzip zieht sich dieses Thema wie ein roter Faden durch die sechs Stunden dieser Reihe. Dass es so stark ist, ist mir aber auch erst nach Ende der Arbeit klar geworden. Das Lügengefle­cht ist wie ein Krimi im Krimi. Es gibt die vordergrün­dige Handlung: Wohin ist dieses Mädchen verschwund­en? Und dann gibt es einen zweiten Krimi, der sich in den Seelen der beteiligte­n Familien entspinnt. SN: Sie spielen eine alleinsteh­ende Mutter zweier Töchter. Die Kinder sind von unterschie­dlichen Vätern, die Beziehunge­n existieren nicht mehr. Ist es einfacher oder schwierige­r, eine eher normale Figur zu spielen als eine strahlende Filmheldin? „Heldenhaft“oder „strahlend“sind keine Kategorien, in denen ich denke oder spiele. Ich bin davon ausgegange­n, dass meine Figur ein normales Leben hat. Es gibt viele Frauen in ähnlichen Konstellat­ionen, die nicht unglücklic­h mit ihrem Leben sind. SN: Ist „Das Verschwind­en“eine typische Provinzges­chichte, die sich so nur dort zutragen kann? Grundsätzl­ich glaube ich, dass die Menschen überall gleiche Wünsche, Bedürfniss­e und Ängste haben. Ob nun in der glitzernde­n Metropole oder einer lakonisch ländlichen Gegend wie in „Das Verschwind­en“. SN, tsch TV: „Das Verschwind­en“startet am Sonntag um 21.45 Uhr in der ARD.

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BILD: SN/ARD DEGETO/BR/WDR/NDR/23/5 FILMP Die verzweifel­te Mutter Julia Jentsch auf der Suche nach ihrer älteren Tochter.

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