Wie wär’s mit einer Abrüstung der Worte?
Die einen reagieren mit Panikattacken auf Sebastian Kurz, die anderen mit Speichelleckerei. Versuch eines Mittelweges.
Da sind wohl einem die Sicherungen durchgebrannt. „Die zwei führenden Parteien sind in krassem Maße populistisch, in krassem Maße fremdenfeindlich, xenophob und rassistisch“, stellte dieser Tage Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“, in einem Videokommentar fest. Prantl sprach über Österreich, genauer gesagt über die Nationalratswahl von vergangenem Sonntag. Mit den „zwei führenden Parteien“meinte er die ÖVP und die FPÖ.
Aus der FPÖ sind etliche einschlägige Aussagen überliefert, die des Chefredakteurs Beurteilung als nicht gänzlich aus der Luft gegriffen erscheinen lassen. Aber die ÖVP? Hat diese sich tatsächlich eine solche Zuschreibung verdient?
Offenbar ja. Denn Prantl fährt fort: „Es ist so, als ob in diesem schönen Land die AfD die Macht übernommen hätte.“Das „schöne Land“ist Österreich, die AfD ist jene deutsche Rechtsaußen-Partei, die sich Prantls Beurteilung, im Gegensatz zur ÖVP, tatsächlich verdient hat.
Wenn wir dem Chefredakteur aus dem schönen Land Bayern folgen, haben vergangenen Sonntag also fast 60 Prozent der Österreicher eine Stimme für Rassismus & Fremdenfeindlichkeit und gegen die Vernunft abgegeben, oder sogar noch mehr als fast 60 Prozent, denn Prantl will die SPÖ und deren Wähler aus seiner umfassenden Rüge „nicht ausgenommen“wissen. Jedenfalls haben die „populistischen Extremisten“, richtet er uns aus, in Österreich nun „völlig freie Bahn“.
Ist das tatsächlich so? Hinsichtlich der Ausländerpolitik trifft es zu, dass sich die österreichischen Wähler, und mit ihnen die Parteien, in den vergangenen Monaten nach rechts bewegt haben – soweit die Rechts-links-Charakterisierung für die Beschreibung heutiger Politik überhaupt noch taugt. Nüchtern betrachtet ist diese Rechtsbewegung eine Reaktion auf den Umstand, dass in den vergangenen Jahren so viele Fremde nach Österreich geströmt sind, dass unsere Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktsysteme noch auf Jahrzehnte ausgelastet sein werden. Von religiös-kulturellen Verwerfungen, die mit der Massenmigration verbunden sind, gar nicht erst zu reden. Der Ruck nach rechts entspricht dem Wunsch der Mehrheitsbevölkerung, den ungeregelten Zuzug zu beenden. Das Wahlergebnis ist ein Ausdruck dieses Wunsches. Das hat man als Demokrat zur Kenntnis zu nehmen.
Oder aber man macht es wie der „Falter“und knallt auf die Seite eins über ein Bild von Sebastian Kurz die Schlagzeile „Der Neofeschist“. Also eh nur Feschist und nicht Faschist, eh nur ein Wortspiel, was aber dadurch konterkariert wird, dass im Blattinneren von Riefenstahl-Ästhetik im Zusammenhang mit der ÖVP-Wahlwerbung die Schreibe ist. Eine Prise Nazi-Vorwurf ist immer gut, siehe auch das vorgebliche Satiremagazin „Titanic“, das Kurz als „Baby-Hitler“ins Bild gerückt hat, mit der ausdrücklichen Aufforderung, ihn zu „töten“, und mit einer praktischen Zielscheibe über der Brust zum Abknallen.
Wie wär’s mit einer Abrüstung der Worte – und der Bilder? Vergangenen Sonntag ist in Österreich weder der Bürgerkrieg noch ein Putsch ausgebrochen. Es haben demokratische Wahlen stattgefunden. Mehr ist, auch wenn die schrille Begleitmusik dieses Wahlsonntags anderes nahelegt, nicht passiert.
Die Sache wird nicht besser durch den Umstand, dass auf der gegenüberliegenden Seite des publizistischen Meinungsspektrums dem jungen ÖVP-Chef und Wahlgewinner gehuldigt wird, als wäre der Messias auf die Erde herabgestiegen. Das Anti-Kern-Kampfblatt „Österreich“entblödete sich nicht, Sebastian Kurz mit Krone auf dem Kopf abzubilden. Apropos Krone, das gleichnamige Blatt titelte doppelseitig: „Unser ,Wunderwuzzi‘ lässt nun die EU zittern.“Warum genau die Union vor dem österreichischen Noch-Nicht-Kanzler zittern sollte, wurde nicht verraten, aber Hauptsach’, wir sind wieder wer in Europa und unser Messias lehrt die bösen EU-Bonzen das Fürchten.
Man muss dem linken Teil des Meinungsspektrums zu etwas weniger Hysterie und Panikmache raten. Und dem rechten Teil zu etwas weniger Speichelleckerei. Es sollte möglich sein, das Wahlergebnis zu akzeptieren und den voraussichtlichen Kanzler als das zu betrachten, was er ist: der voraussichtliche Kanzler, der nicht an seinem Gesicht und nicht an seinen Wahlplakaten zu messen sein wird, und auch nicht an dem, was die „Süddeutsche“und der „Falter“über ihn schreiben, sondern an seiner Regierungspolitik.