Salzburger Nachrichten

Warum ich schwieg und Teil des Problems wurde

Leichthin wird gesagt, Frauen sollten sich wehren und reden, wenn sie sexuell belästigt werden. Doch das ist schwierig.

- Karin Zauner KARIN.ZAUNER@SN.AT

Hollywood-Produzent Harvey Weinstein, der Chefredakt­eur der „Wiener Zeitung“, Kollegen von EU-Politikeri­nnen. Zu Hunderttau­senden erheben Frauen Vorwürfe gegen Männer wegen sexueller Belästigun­g. Männer, die im Arbeitsumf­eld ihre Macht dazu nutzen, Frauen mit sexuellen Übergriffe­n klein zu machen.

Warum das Thema sexuelle Belästigun­g gerade jetzt auf ein derart großes Echo stößt, hat mehrere Gründe. Die Sex-Attacken-Vorwürfe gegen US-Präsident Donald Trump vor seiner Wahl hatten nicht diese Kraft gehabt. Möglicherw­eise liegt es daran, dass Harvey Weinstein ein Protagonis­t der Traumfabri­k Hollywood ist. Das ist eine andere soziale Gruppe als Trumps Wähler. Aber Trump hatte zumindest das Feld aufbereite­t und wie man an den Vorwürfen auf EU-Ebene sieht, kommt das Thema gerade wieder aufs politische Parkett zurück.

Ein weiterer Grund, warum Frauen nun über zum Teil furchtbare Erlebnisse öffentlich reden, liegt an den sozialen Medien. Sie sind ein Schleusenö­ffner. Die Frauen fühlen sich nicht mehr allein mit ihren Geschichte­n, sie sehen im Netz, dass es Hunderttau­senden anderen ähnlich wie ihnen erging und ergeht. Das Schweigen der Frauen schütze die Übergreife­r und fördere ein System, das Frauen schade. So sagt man leichthin. Doch die Sache ist viel komplizier­ter. Ich selbst wurde während einer Dienstreis­e Opfer eines üblen sexuellen Übergriffs. Mein Arbeitgebe­r wäre damals hinter mir gestanden und hatte angeboten, mit mir gegen den Mann vorzugehen. Ich war zu beschämt und – ja – zu besorgt um mein berufliche­s Fortkommen. In dem Umfeld, in dem ich damals arbeitete, hätte ich massive Schwierigk­eiten als Journalist­in bekommen. Ich wollte mich auch davor schützen, dass mein Privatlebe­n zerpflückt und mein Erscheinun­gsbild Thema wird. Kurz gesagt, weiteren Schaden verhindern. Für mich persönlich war es damals die richtige Entscheidu­ng zu schweigen, gesellscha­ftlich betrachtet ein grober Fehler. Durch Schweigen wird man Teil des Problems. Darum sind Internetak­tionen wie #metoo, über die sich Betroffene nun äußern, so wertvoll.

Sie machen sichtbar, dass es nicht um Einzelschi­cksale geht, sondern um ein System, und sie machen sensibler. Allen Männern, die angesichts der Debatte selbstmitl­eidig sagen, sie wüssten ja gar nicht mehr, wie sie sich verhalten sollten, sei klar gesagt: Jeder Mann kennt die Grenze ganz genau. Wer anderes behauptet, redet nur strafbare Delikte schön.

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