Sexuelle Belästigung schwächt Frauen im Job
In den meisten Fällen von sexueller Belästigung in der Arbeitswelt handelt es sich um Machtmissbrauch. In der Folge können Frauen ihrer Tätigkeit nicht mehr ungestört nachgehen.
In den meisten Fällen sexueller Belästigung in der Arbeitswelt handelt es sich um Machtmissbrauch. Danach können Frauen ihrer Tätigkeit nicht mehr ungestört nachgehen. Ein Interview mit der Chefin der Gleichbehandlungsanwaltschaft.
Der Sexskandal um Hollywood-Filmproduzent Harvey Weinstein und der in der Folge auf Twitter losgetretene Aufruf, unter dem Hashtag #metoo („auch ich“) eigene Erfahrungen zu berichten, haben eine Welle losgetreten. Inzwischen haben Hunderttausende Frauen von ihren Übergriffserfahrungen erzählt. Die passieren meist im beruflichen Kontext. So wurde etwa die schwedische Gleichstellungsministerin von einem hochrangigen EU-Politiker bedrängt. Auch Österreich hat nun einen öffentlich gewordenen Fall in der „Wiener Zeitung“. Die SN sprachen mit der Chefin der österreichischen Gleichbehandlungsanwaltschaft, Ingrid Nikolay-Leitner, darüber, was diese Flut an Vorwürfen bedeutet und was sie bringen könnte.
SN: Ist es aus Ihrer Sicht gut oder schlecht, dass sexuelle Belästigung im Job zum international großen Thema geworden ist?
Ingrid Nikolay-Leitner: Je mehr über das Thema gesprochen wird, desto mehr kann sich ändern. Dieses Öffentlichmachen der unerträglichen Situation ist ein wichtiger Schritt zu zeigen: Das geht nicht. Seit 25 Jahren sind sexuelle Übergriffe durch das Gleichbehandlungsgesetz verboten. Jede dieser Aktionen wie #metoo sendet aus, dass Frauen nicht mehr schweigen. Und sie machen die Strukturen hinter den Übergriffen sichtbar.
SN: Man hat den Eindruck, da ist eine Mauer gefallen. Stimmt das?
Nein. Wir hatten im Vorjahr bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft 213 Beschwerden wegen sexueller Belästigung. Diese Zahl ist seit Jahren stabil. Nach wie vor versuchen viele Frauen, allein damit fertigzuwerden.
SN: Was sind die Motive fürs Schweigen?
Sexuelle Übergriffe lösen Angst und Schuldgefühle aus. Gerade hat ein junger Künstler im Radio erzählt, er habe seiner Freundin angeraten, einen sexuellen Übergriff auf sie zu melden. Als es ihm selbst passiert sei, habe er aber auch nichts gesagt. Ein sexueller Übergriff ist eine sehr, sehr einschüchternde, gewaltbehaftete Situation, selbst wenn es sich nicht um einen körperlichen Übergriff handelt. Zudem ist das Thema sehr schambesetzt, es geht ja immer ums Sexuelle.
SN: Das Sexuelle steht im Vordergrund?
Nein. Bei den meisten Fällen handelt es sich um Machtmissbrauch. Das hat der Oberste Gerichtshof schon 2009 erkannt. Es geht nicht um sexuelle Annäherung, sondern um Macht.
SN: Also passieren diese Fälle meist hierarchisch, der Täter steht in der Hierarchie weiter oben als das Opfer?
In der Regel schon. Es gibt aber auch Kollegenbelästigung, dann handelt es sich um einen Platzverweis in der Konkurrenzsituation. Ich kenne viele Fälle, in denen nach der Zurückweisung dann anderweitige Schikanen im Job begonnen haben.
SN: Hat sich in den vergangenen Jahren in puncto sexuelle Belästigung in den Unternehmen etwas verändert?
Die Zeiten, in denen Frauen als Opfer von sexuellen Übergriffen gekündigt wurden, sind vorbei. Die Unternehmen sind hier sensibler geworden. SN: Neben der Demütigung, der Angst und dem persönlichen Leid, das ein sexueller Übergriff auf einen bedeutet, welchen Einfluss hat es auf den Job, die Karriere? Es bedeutet nichts anderes, als dass man seiner Tätigkeit nicht ungestört nachgehen kann. Das schwächt die Frauen auf ihrem beruflichen Weg. Auch wenn es sie nicht den Arbeitsplatz kostet, sie können nicht mehr mit voller Kraft arbeiten.
SN: Sie raten den Opfern, die zu Ihnen kommen, gegen ihre Peiniger aufzutreten, sie zu nennen?
Nein. Wir raten zu nichts, wir bieten Unterstützung an und wollen niemanden in eine Richtung drängen. Aber natürlich, wann immer es einem passiert und es diese Person nach außen trägt, trägt sie immer auch dazu bei, dass sich andere nicht als Einzelfall fühlen, keine Schuldgefühle haben, sondern sehen, dass hier eine Struktur besteht, die klar gegen Frauen gerichtet ist.