„Was für ein Sieg ist das?“
Die Befreiung vom IS bedeute für viele Städte deren völlige Zerstörung, kritisiert die irakische Schriftstellerin Haifa Zangana. Das gelte nicht nur für das kürzlich befreite Rakka in Syrien.
Haifa Zangana hält regelmäßig Vorträge über die Entwicklungen in ihrem Heimatland Irak, wie am Dienstag in Wien. Positives hat sie derzeit kaum zu berichten. SN: Die Befreiung von Rakka wurde bejubelt wie Monate zuvor jene von Mossul. Wie sieht die Lage dort heute aus? Haifa Zangana: Die Hälfte der Stadt ist zerstört. Das lässt einen wirklich in Frage stellen, was das für ein Sieg ist. Wir sehen neuerdings ein Muster, dass die Zerstörung von Städten zu deren Befreiung führt. Das passierte im Westen des Iraks und dann in Mossul. Es war die zweitgrößte Stadt im Irak. Militär und Streitkräfte konnten den IS dort nicht allein besiegen, die US-Allianz beteiligte sich mit Luftangriffen. In den vergangenen zwei Jahren gab es laut Statistiken durchschnittlich alle acht Minuten einen Luftangriff in Syrien und dem Irak. Stellen Sie sich vor, was für ein Leben die Menschen in Mossul gelebt haben: Schock, Trauma, psychische Belastung – zusätzlich zur Zerstörung. Bis letzte Woche wurden noch immer Leichen in den Trümmern gefunden. Nach dem Sieg über den IS übernahmen die Milizen, aber auch die sind gewalttätig. Es herrscht das Gefühl: Du hast den Terroristen geholfen – und es gibt Rache. SN: An der Zivilbevölkerung? Viele Menschen werden verdächtigt. In diesem Chaos ist es nicht so, dass du nachforschen kannst. Jeder kann jeden verdächtigen, den IS unterstützt zu haben. Es gibt ein Klima der Angst unter den Rückkehrern. Insgesamt gibt es im Irak fünf Millionen Vertriebene. Jetzt verlassen auch noch die Kurden Kirkuk, in den vergangenen Tagen waren es 110.000 Menschen. SN: In der Provinz Kirkuk ist die irakische Armee kurz nach dem kurdischen Referendum über die Unabhängigkeit einmarschiert. War die Abstimmung ein Fehler? Definitiv. Kurdenpräsident Masud Barzani hätte warten können. Es war ein dummer Schritt. Absolut dumm. Die Kurden sollen von den USA eine Garantie bekommen haben, innerhalb von zwei Jahren unabhängig werden zu können. Warum also hat Barzani das getan? SN: Was glauben Sie denn, warum er es getan hat? Ich habe Barzanis Arbeit schon immer verfolgt, auch die seines Vaters. Ich denke, er steckte in der Klemme. Barzani ist entgegen der Verfassung (die nur zwei Amtszeiten erlaubt, Anm.) Kurdenpräsident geblieben. Das weitere zwei Jahre zu bleiben, wäre viel zu lang. Das kann er nicht machen. Zusätzlich bekam er offenbar Unterstützung aus dem Ausland. Bei seiner letzten Rede vor dem Referendum, als er darauf angesprochen wurde, dass er von niemandem unterstützt werde, sagte er: „Was wir wissen, ist etwas anderes als das, was ihr wisst.“ SN: Wie wird es weitergehen? Das weiß niemand. Es ist wirklich ein großes Desaster. Mein Bruder lebt in Erbil. Er sagt, die Menschen haben dort große Angst. Sie wissen nicht, wie es weitergehen wird. Und da sprechen wir von einer Stadt, die unter der direkten Kontrolle von Barzani steht. Wer weiß, was in anderen Gegenden passiert. Haifa Zangana