Jedes Stück hat seine Geschichte
200.000 Objekte mit Migrationshintergrund befinden sich im Bestand des Weltmuseums, das heute, Mittwoch, zum Eröffnungsfest lädt.
WIEN. Es ist kaum zu fassen: Da flaniert man rund zwei Stunden durch die Säle, bewundert exotische Exponate wie den altmexikanischen Penacho, als Federkopfschmuck des Montezuma berühmt, oder eine Federbüste, die der Seefahrer und Entdecker Captain James Cook gesammelt hat, hat an Monitoren gedrückt und gewischt, um Details zu erfahren, und Saal- und Beipacktexte studiert, welche die unüberschaubare Menge an Ausstellungsstücken erläutern – nur um zu erfahren, dass hier nur mickrige eineinhalb Prozent des Gesamtbestandes ausgestellt sind. Wo sind die restlichen 98,5 Prozent? Die werden als nächstes Großprojekt des Weltmuseums Wien digitalisiert und sind dann im Internet abrufbar.
Vorläufig herrscht darüber Jubelstimmung, dass nach der Schließung der Schausammlung 2004 und allerhand Imponderabilien politischer Art das ehemalige Völkerkundemuseum nach 13 Jahren nun als Weltmuseum Wien wieder eröffnet ist. 14 Säle sind 14 Themen zugeordnet. Alles sei museumstechnisch State of the Art, sagt Steven Engelsman, den das Kunsthistorische Museum 2012 aus Holland geholt hatte als Direktor. Er hört mit Jahresende wieder auf, als sein Nachfolger steht Christian Schicklgruber bereits fest.
Ein renommiertes Architektenteam rund um Ralph Appelbaum hat den Sälen jeweils einen eigenen Charakter je nach kuratorischem Konzept zugeordnet, der Museumsdesigner hat auch die Qualität der historischen Vitrinen entdeckt, die seit 1912 der Präsentation der Sammlung dienten, und sie auf neuesten Stand gebracht. Manches ist in magisches Dunkel gehüllt und erweckt umso mehr Aufmerksamkeit wie eben der mexikanische Penacho. Um diesen vor einigen Jahren restaurierten Federschmuck herrschte immer wieder die Diskussion um Rückgabe, obwohl er sich schon seit Jahrhunderten in der Sammlung befindet und bereits 1596 in der Inventarliste der Kunstund Wunderkammer des Erzherzogs Ferdinand II., Graf von Tirol, im Schloss Ambras aufscheint.
Auch Steven Engelsman verweist auf Fragen, ob nicht an manchem Exponat das sprichwörtliche Blut kleben könnte. Eben deshalb werden die Probleme in der Ausstellung auch angesprochen, denn gerade der Kolonialismus ist von aktueller gesellschaftspolitischer Relevanz, da man die Auswirkungen in Form von Migration und Globalisierung erlebt. Solche ethnologischen Museen wie das Weltmuseum sind in Zeiten der Kolonialisierung entstanden, auch um den Europäern jene Menschen vorzustellen, die in den Kolonien lebten und arbeiteten, womit etwa Beamte und Handelsreisende auf ihren Kontakt mit den jeweiligen Völkern vorbereitet wurden.
Da mit dem Aufkommen des Ferntourismus und bunter Fernsehsendungen viele Museen betroffen waren, suchten die Häuser einen neuen Sinn. „Im Schatten des Kolonialismus“ist das Thema eines Saales. Auch die Erwerbsumstände wurden einer genauen Untersuchung unterzogen. Was die Sammlung des Weltumseglers Captain Cook betrifft, der in Hawaii den Tod im Kampf fand, leiden die Briten heute unter einem Phantomschmerz, aber damals, 1806, war man in London zu sparsam. Im Auftrag des Kaisers Franz I. reiste ein Mitarbeiter des Naturalienkabinetts zu einer Museumsauktion nach England mit dem Auftrag, die wertvolle Sammlung zu ersteigern. Zu Cooks Beute, die der 30.000 Objekte umfassenden Sammlung Ozeanien und Australien des Hauses zugeschlagen wurde, gehört auch ein Modell eines hawaiianischen Federtempels, der vor kriegerischen Unternehmungen von den Priestern als göttliches Orakel aufgesucht wurde. Auch Japan ist ein Saal gewidmet, das sich 1873 auf der Weltausstellung in Wien unter anderem mit dem Modell einer Daimyō-Residenz präsentierte. 15.000 Objekte der OstasienSammlung stammen aus Japan.
Sabine Haag, KHM-Generaldirektorin, bedankte sich in der Pressekonferenz am Dienstag „bei den Steuerzahlern“und erinnerte daran, dass seit der Neubenennung des Museums unter Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ) und großen Plänen der nächste Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) mit der Idee des Hauses der Geschichte eine Redimensionierung herbeiführte. Das HdG wiederum redimensionierte Ostermayers Nachfolger Thomas Drozda (SPÖ), dennoch musste das Weltmuseum auf den Korridor des Staunens verzichten. Übrigens sind die herrliche Säulenhalle und das angrenzende Kaffeehaus ohne Ticket zugänglich.
„Migration ist so alt wie die Menschheit.“Steven Engelsman, Direktor Weltmuseum