Salzburger Flüchtlinge benötigen handfeste Bilder
Einst hatten Emigranten keine Handys zum Fotografieren. Und doch hielten sie ihre Flucht in Bildern fest.
SALZBURG. Die vom Emigrationspatent betroffenen rund 20.000 Salzburgerinnen und Salzburger hatten wenig Zeit: Sie mussten binnen Tagen, bestenfalls zwei, drei Wochen das Land verlassen. So wurde mehr als ein Sechstel der Salzburger Bevölkerung des Landes verwiesen. Ihre erste Station, weil nächste protestantische Stadt, sei Augsburg gewesen, sagt Chefkurator Peter Husty vom Salzburg Museum. Vermutlich hätten sie dort um so etwas wie Exil oder Asyl angesucht. Und es dürften Sonderunterkünfte errichtet worden sein. Wie sonst hätte ein Städtchen, das im Jahr 1732 etwa 30.000 Einwohner hatte, die Ankunft von täglich Hunderten bis Tausenden Flüchtlingen aus Salzburg bewältigen können?
„Erinnern Sie sich an den Salzburger Hauptbahnhof 2015 bei der Flüchtlingskrise“, rät Peter Husty. Er hat die kleine Ausstellung – ein Einschub in die Dauerausstellung im zweiten Stock – zu 500 Jahren Reformation kuratiert. Darin sind sonderbare Exponate zu erkunden.
In Vitrinen liegen Emigrationsmedaillen. Die zeigen ein Konterfei Martin Luthers, eine Bauernfamilie auf ihrem Fußweg in die Fremde oder gar eine Vertreibung Hunderter Menschen mit Schlagstöcken – mit Festung, Dom und Altstadt im Hintergrund. Diese Silberstücke sind fein ziselierte Kostbarkeiten von Medailleuren aus Nürnberg oder Amsterdam. Auch einzelne Goldstücke sind dabei. Am raffiniertesten sind münzgroße kolorierte Drucke – mit faltbaren Papierstegen so verbunden, dass sich die ein bis zwei Dutzend Bildchen aufeinanderlegen und in eine runde, flache, mit geprägtem Bild versehene Schatulle legen lassen. Dieses kunstfertige Bild-Münz-Gemisch heißt „Schraubmedaille“.
Die meisten dieser nun im Salzburg Museum ausgestellten Münzen aus der Zeit der Salzburger Protestantenvertreibung 1732 sind aus der Sammlung des Bankhauses Spängler. Um sie herum, also auf der Außenseite des für die Silber-, Gold- und Schraubmedaillen aufgestellten Kubus, schildert Peter Husty in Worten und Bildern die Geschichte des Protestantismus in Salzburg – von ersten Lutherbibeln bis 1966, als Erzbischof Andreas Rohracher die Salzburger Protestanten um Vergebung für die einstige Schmähung gebeten hat, sowie bis Mai 2017, als erstmals ein Ehrendoktorat der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg einem Protestanten verliehen worden ist, nämlich dem lutherischen Bischof Michael Bünker. Zurück zu den Medaillen aus 1732: Wer gab die in Auftrag? Wer kaufte die gar? Bauern und Bergleute aus Gastein, Rauris, Hüttschlag, Radstadt oder Hallein? Eine mögliche Antwort findet sich anhand anderer Exponate. Da sind etwa empörende Kupferstiche. Einer zeigt einen toten Emigranten im Sarg: Philipp Lackner soll „im 99. Jahr“, also steinalt, am 24. Dezember 1732 in Augsburg verschieden sein. Ein weiterer Stich zeigt eine Familie aus Werfen in felsiger Natur: Der Vater hat den Buben an der Hand, die Mutter trägt den Säugling im Rucksack – datiert mit 18. Dezember 1731.
Warum gestochene Drucke, warum Medaillen? Dies waren die damals populären bildgebenden Verfahren. In Augsburg, Nürnberg und Gotha, den Stationen der Emigranten Richtung Norddeutschland oder über die Niederlande in die USA, dürften Kupferstecher und Medailleure ihre Dienste angeboten haben. Wer es sich leisten konnte, hat vielleicht dafür sogar etwas vom Ersparten ausgegeben, um vom unsagbaren, lebenswendenden Ereignis ein handfestes Bild zu haben, ein Souvenir. Braucht man das? „Denken Sie an den Hauptbahnhof“, sagt Peter Husty – an die vielen Pressefotografen, an die Selfies.