Eine Handvoll Münzen zum Einkaufen
1,2 Millionen Österreicher gelten als armutsgefährdet, 410.000 sind manifest arm. Eine Niederösterreicherin muss sich und ihren Sohn mit ein paar Euro pro Woche ernähren. Wie, das haben sich die SN in einem Sozialmarkt der Caritas angesehen.
KREMS. Bevor Sonja S. ihren Einkaufskorb füllt, wiegt sie den Kopf hin und her. Sie kann nicht einfach zugreifen. Sie muss genau überlegen, was sie sich heute leisten kann. In ihrer Hand klimpert Kleingeld. Sechs Euro und achtzig Cent sind es. Mit dem Daumen schiebt sie die Münzen herum. Das Geld muss auch noch für die Busfahrt nach Hause reichen. Sie schließt die Finger zur Faust und greift mit der freien Hand nach einem Wecken Weißbrot, einem Paket Schinken, etwas Gemüse und Zitronen. Das muss für die kommenden Tage reichen.
„Mein jüngster Bub ist zwölf, der isst für eine ganze Kompanie“, sagt Sonja S. Ihren Namen will die Frau Mitte 40 aus der Umgebung von Krems nicht erwähnt wissen. Zwei weitere Kinder sind erwachsen und aus dem Haus. Für sich und den Sohn kauft S. im Caritas-Sozialmarkt (SOMA) Krems, nahe am Bahnhof, ein. Mit gutem Gefühl geht sie erst seit Kurzem aus und ein. „Am Anfang hab ich mich geschämt. Dabei gibt’s dafür überhaupt keinen Grund“, sagt sie. Nach Operationen hat die Frau ohne Job wenig Geld im Monat. Nur im SOMA kann sie sich einen vollen Einkaufskorb leisten. „Ich koche und friere viel Selbstgemachtes ein. Fertigpizza wäre mir zu teuer.“Mit achtzig Cent würde ein Stück, Marke Iglo, Sorte „Mozzarella“, zu Buche schlagen.
Der Laib Brot um zehn, zwei Kilogramm Bio-Kartoffeln um 30 und ein Packerl aufgeschnittener Leberkäse für 60 Cent: Im Sozialmarkt der Caritas darf einkaufen, wer nur wenig Geld zum Leben hat; Einpersonenhaushalte nicht mehr als 950 Euro, Zweipersonenhaushalte maximal 1400 Euro. Gegen Vorlage des Einkommensnachweises gibt es den SOMA-Einkaufspass.
Solche sozialen Lebensmittelläden gibt es etwa in Salzburg, Wörgl, Klagenfurt – oder eben in Krems. Betriebe spenden, was ihnen übrig bleibt und was verzehr- oder gebrauchsfähig ist. Bäcker und Gemüsehändler von nebenan sind ebenso unter den Spendern wie große Ketten. So kommt es, dass in den Regalen nicht nur Fertigsuppen, Kornspitze und Mandarinen lagern, sondern auch Bio-Gleitgel sowie Kondome für 3,83 Euro. „Verwenden statt verschwenden“lautet auch dabei der Leitsatz der Caritas.
Präsident Michael Landau erklärt: „So wie Frau S. geht es vielen Frauen und Männern in Österreich. 1,2 Millionen Menschen sind von Armut bedroht. Das ist jeder Siebte im Land. 410.000 gelten als manifest arm.“In Salzburg leben 82.000 Menschen an der Armutsgrenze. Dass diese Zahlen trotz Wirtschaftskrise nicht angestiegen seien, verdanke man dem Sozialstaat. Wie er die Arbeit der Caritas unter einer möglichen schwarz-blauen Regierung sieht? „Mir ist egal, wer das Land regiert. Unsere Arbeit bleibt dieselbe. Wir dürfen bei armutsbetroffenen Menschen nicht sparen.“
Sonja S. hat gelernt, in der Küche vorausschauend zu werken. „Butter ist jetzt so teuer. Gott sei Dank habe ich vor dem Preisschub einiges eingefroren. Deshalb können wir im Advent Kekse backen. Bei den aktuellen Preisen wäre das sonst echt schwer.“Obst wird bald für ein paar Monate weitgehend von ihrem Speiseplan verschwinden. Es ist ihr im Winter zu teuer. Auch wenn sie es nach einer Schilddrüsen-Operation wegen der Nährstoffe brauchen könnte. „Ich bin froh, wenn ich um mein bisschen Geld das Nötigste krieg“, erzählt sie.
Anna-Lena Mädge ist die Projektleiterin im SOMA Krems. Sie sagt, dass die Waren von einer Abholrunde gebracht werden. Freiwillige fahren Geschäfte an, die Produkte spenden. Meist haben diese das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht. Im SOMA werden Joghurts oder Milch bis zu zehn Tage nach diesem Datum verkauft. Genussfähig sind sie ja noch. „Der Sozialmarkt beschäftigt nicht nur vorwiegend Frauen, die über 50 Jahre alt sind, er lebt auch von ehrenamtlichem Einsatz“, sagt Mädge. Viele der Kunden hätten Migrationshintergrund, Studenten kämen so gut wie nie im Laden vorbei. Warum das so ist? „Obwohl wir schöne Ware haben, schämen sich viele, zu uns zu kommen“, sagt die Leiterin.
So ist es auch Sonja S. gegangen. Nun überwiegt das Glück wegen der günstigen Einkäufe. „In jedem anderen Geschäft bekäme ich für das bisschen Geld fast nichts“, sagt sie an der SOMA-Kassa. Dieses Mal hat sie rund vier Euro ausgegeben. Ihre Einkaufstasche ist dafür voll.