An der Europa-Frage werden ÖVP und FPÖ nicht scheitern
Die Parteichefs Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache stellen sich die Reform der EU so vor wie in einem Szenario von der EU-Kommission selbst vorgeschlagen.
Heute, am Tag zehn nach der Nationalratswahl, aus der ÖVP und FPÖ als Sieger hervorgegangen waren, starten die schwarz-blauen Regierungsverhandlungen. Die von ÖVP-Chef Sebastian Kurz zur Koalitionsbedingung gemachte „klare proeuropäische Ausrichtung“dürfte das Problem nicht sein. Sowohl Kurz als auch FPÖ-Parteichef HeinzChristian Strache beriefen sich am Dienstag ausdrücklich auf das von EU-Kommissionspräsident JeanClaude Juncker vorgelegte Weißbuch zur Zukunft Europas, in dem fünf Szenarien für eine Reform der EU bis 2025 aufgelistet werden. Beide gaben zu Protokoll, Szenario vier für den richtigen Weg zu halten: mehr Subsidiarität, also Selbstbestimmung für die Mitgliedsländer, und weniger EU, das aber effizienter.
Auch die vielleicht größte Überraschung an den am Dienstag offiziell bekannt gegebenen Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ hat mit der EU zu tun. Der blaue Generalsekretär Herbert Kickl erklärte, die EU-kritische Haltung der Freiheitlichen sei gewissermaßen aus Liebe zur EU entstanden. Denn gerade wenn man etwas liebe, sei es „manchmal notwendig, eine gewisse Strenge oder eine bestimmte Form von fundierter und sachlicher Kritik anzubringen“.
ÖVP-Chef Kurz wünscht sich „zügige“Koalitionsverhandlungen. Die FPÖ will sich nicht drängen lassen. Es gebe keinen „Zeitdruck“.
Eigentlich hätten Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache ihre Koalitionsverhandlungen bereits am Wahlabend beginnen können. Aber man musste die Usancen gegenüber dem Herrn Bundespräsidenten wahren. Und man wollte den Eindruck verwischen, SchwarzBlau wäre schon lange vor der Wahl ausgemacht gewesen. Diesem Ziel dienten auch die gestrigen, eher abwartenden Aussagen Straches. Er muss seiner Parteibasis zudem signalisieren, dass er sich in den Koalitionsverhandlungen diesmal teurer verkauft, als dies die FPÖ im Jahr 2000 getan hatte.
Es liegt somit im beiderseitigen Interesse, die Verhandlungen nicht zu schnell und zu problemlos ablaufen zu lassen. Aber es wäre falsch, die Krachs, die zwischen ÖVP und FPÖ zweifellos kommen werden, nur als Theaterdonner abzutun. Die beiden Parteien werden in den Verhandlungen noch hart aneinandergeraten, schließlich haben beide noch eine zweite Option – und zwar die SPÖ.
Diese hat zwar „die Weichen in die Opposition gestellt“, aber das hatte die ÖVP mit genau den gleichen Worten 1999 auch getan. Und dann wurde sie Kanzlerpartei.