Eine Dame fotografiert die Männerwelt
Marianne Strobl war zwischen 1894 und 1914 als Industriefotografin tätig.
Angefangen hat es mit einer Serie alter Fotos, auf denen Leiterwagerln zu sehen waren. Die Salzburgerin Ulrike Matzner hatte vor, ihre Dissertation über Industriefotografinnen zu schreiben, und wurde von Monika Faber, Chefin des Bonartes Photoinstitutes, mit den merkwürdigen Wagerln bekannt gemacht. Fotografiert hat die ärarischen Fuhrwerke eine gewisse Marianne Strobl 1894 anlässlich der „Internationalen Ausstellung für Volksernährung, Armeeverpflegung, Rettungswesen und Sport“im Prater. Interessiert haben sich die Militärbehörden dafür für den Fall einer Mobilmachung.
Aber nicht nur solche Sachen fotografierte Marianne Strobl, sie lieferte auf Auftrag hin Serien von Industriebauten, dem Bau der Wocheinerbahn im heutigen Slowenien, Bilder des Kanalbaus im dritten Wiener Bezirk, sie begleitete Höhlenforscher in die gefährlichen Verstecke des Ötscher und machte Aufnahmen in einem neuen Männerwohnheim, damit wurde die Arbeiterzeitung bebildert.
Die Frau hatte einen untrüglichen Sinn für Perspektive, und wenn es nur Förderbänder für Kohlen in einem schrägen tunnelartigen Gebäudeteil waren, das Bild hat Spannung. Manches Foto wirkt wie eine raffinierte Grafik. Überdies konnte Marianne Strobl dank des Blitzlichts rare Aufnahmen machen und hatte ein ausgeprägtes Gespür für Ästhetik. Wer aber war Marianne Strobl, die selbstbewusst „Industriephotographin“ihrem Namen anfügte und ein Atelier betrieb?
Eigentlich weiß man nichts von der Biografie der tüchtigen Dame, deshalb beschränkt sich die Ausstellung im Bonartes auf die Jahre 1894 bis 1914. Aus dieser Zeit sind im Bonartes-Archiv, in der Albertina, im Wien Museum und im MAK Strobl-Bilder erhalten geblieben. Die biografische Quellenlage allerdings ist sehr fragmentarisch, laut einem Gewerbeverzeichnis existierte Strobls Betrieb bis Mitte der 1930er-Jahre. Selbstporträts gibt es keine, doch eine Aufnahme mit einer Ateliersituation, die handschriftlich mit dem Zusatz versehen ist: „Kunst-Anstalt für Photographie/Marianne Strobl/Wien 2. Bez. k.k. Prater/In der Arbeit bei Herrn Victor Silberer im Schloße Semmering“. Und eben dieses Schloss, das sich der wohlhabende Medieneigentümer am Semmering bauen ließ, war einer der Dokumentationsaufträge, die Strobl an Land zog.
Im Unterschied zu ihren weiblichen Kolleginnen, die sich auf Porträtoder Modefotografie konzentrierten, eroberte Marianne Strobl die von Männern dominierten Außenräume. Bei Aufnahmen des Kanalbaus im dritten Wiener Bezirk stand eine ganze Baustelle still, Männer posierten mit ihren Schaufeln, auch architektonisch ist das Bild interessant. Beim Bau der Aspernbrücke über den Donaukanal war Strobl ebenso zur Stelle wie bei den Gaswerken Wien-Leopoldau und Simmering, um den technischen Fortschritt zu verewigen, auch hier mit durchwegs künstlerischem Anspruch.