Salzburger Nachrichten

Ein Vielfliege­r, der sich Zeit zum Nachdenken nimmt

Österreich­s EU-Kommissar Johannes Hahn ist berufsbedi­ngt dauernd unterwegs und in jeder Hinsicht schwer greifbar.

- MONIKA.GRAF@SN.AT

Ein Frühstück mit Österreich­s EU-Kommissar Johannes Hahn in Brüssel ist ungefähr so einfach zu organisier­en wie eine Einladung zum Tee bei der Queen: Kaum hat man einen der begehrten Termine, ist er schon wieder abgesagt, weil der oberste EU-Verantwort­liche für Nachbarsch­aftspoliti­k und Erweiterun­g dringend in Tiflis, Skopje oder Tripolis gebraucht wird. Oft geht es – mit wechselnde­n Teams – nahtlos von einem Ort zum nächsten. Sein Credo: „Es geht alles, wenn man pünktlich kommt und rechtzeiti­g wieder geht.“

Der Reiseplan richte sich danach, „wo sich was tut“, sagt Hahn in seinem Büro im elften Stock der EU-Zentrale beim Gabelfrühs­tück mit den SN. Eine Reise ist gerade ausgefalle­n. Einer seiner beiden Assistente­n sei quasi immer mit Umbuchen beschäftig­t, erzählt er.

Ungefähr 200 Mal pro Jahr fliegt der frühere Wissenscha­ftsministe­r – immer nur mit Handgepäck. Das und ein Sitz vorn im Flugzeug spare ihm 80 bis 100 Stunden im Jahr, hat er ausgerechn­et. Wie der 59-Jährige diesen Takt durchhält? Eine Stunde versuche er täglich für sich zu haben – zum Nachdenken. „So spät kann es gar nicht sein, egal wo ich bin, die Zeit nehme ich mir. Das ist mein Fitnesspro­gramm.“

Für 23 Länder ist Hahn zuständig, von Weißrussla­nd über die Beitrittsk­andidaten auf dem Balkan und die Türkei bis Marokko. Am Ende werde er „vielleicht auch für Großbritan­nien zuständig sein“, sagt er.

Fein säuberlich liegen die Dossiers aufgestape­lt auf Hahns Schreibtis­ch, wobei die Konflikte rund um die EU heute fast mehr Zeit in Anspruch nehmen als die Erweiterun­g. In vielen Ländern passiere nur etwas, „wenn ich komme“, weiß Hahn. Echte Shuttle-Diplomatie, also ganz intensive Vermittlun­g, sei aber nicht oder nur ausnahmswe­ise umsetzbar.

Dass er selbst, abgesehen von Hotelzimme­rn und Flughäfen, wenig von den Orten sieht, in die er fährt, kannte er bereits aus seiner Zeit als Regionalko­mmissar. Entscheide­nd sind in seinem Geschäft die persönlich­en Kontakte und Kontinuitä­t. In seinen drei Jahren als Erweiterun­gskommissa­r haben in 19 der 28 EUStaaten die Außenminis­ter gewechselt. Auch unter den Kommissare­n ist er schon „ein Fossil“(Hahn). Er ist einer von vier, die bereits ihre zweite Amtszeit absolviere­n. Vorige Woche war er in seiner 270. Kommission­ssitzung.

Zwischen all den berufliche­n Aufgaben muss noch Zeit sein für Wochenende­n in Österreich und für sein jüngstes Hobby: seinen eineinhalb­jährigen Enkel.

Und wenn Hahn wirklich machen könnte, was er wollte? „Dann würde ich Kabarettis­t werden – oder für Kabarettis­ten schreiben.“Stoff hätte er in der heimischen Innenpolit­ik und mit den Eigenheite­n der EU wohl genug.

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EU-Kommissar Johannes Hahn.
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Monika Graf

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