Welche Worte eignen sich fürs Grab?
Einige Salzburger haben eine außergewöhnliche Kunstfertigkeit entwickelt, um ein Leben zu resümieren.
„He da, Wanderer!“Mit diesem Ruf fordert ein Kind zum Innehalten auf. Vieles daran ist ungewöhnlich, nur eines nicht: dass Eltern auch bei der einst hohen Kindersterblichkeit das Gedenken an ein verlorenes Baby bewahren. Ungewöhnlicherweise ist diese Inschrift aus 1638 im Haus Kaigasse 31 derart aufwendig, dass sie eher zu einem hohen Geistlichen oder ehrenwerten Bürger passt als zum kaum vier Monate alten Buben.
Immerhin hat so ein fein bearbeiteter Epitaph – ein Kindergesicht mit geschlossenen Augen, ein Polster mit Quasten, eine gekehlte, geschwungene Rahmung und zwei Kartuschen – zirka 100 Gulden gekostet; das entspricht einem Achtel des damaligen Jahresgehalts eines Hofrats, wie Christoph Brandhuber, Leiter des Archivs der Salzburger Universitätsbibliothek, herausgefunden hat. Ungewöhnlich ist auch, dass sich diese Tafel in einem Privathaus findet und nicht auf dem Petersfriedhof, wo der kleine Johann Georg Mayr begraben ist.
Vielleicht wollten die Eltern, der Arzt Michael Mayr und seine Frau Barbara, diese Erinnerung bei sich haben? Da steht: „Der Eltern Hoffnung, Freude, Frühlingswonne ist verblüht, vergangen, gefallen. Kaum geboren, damit ich ihn meiner Erde zurückgebe ohne Gewinn, nur Rauch, Trauer, Asche; nach seinem Tod ein Gesamterbe (nur) für den Himmel: Johann Georg Mayr, Söhnchen des Doktors der Medizin Michael, geboren am 13. April, verstorben am 4. August im Jahre 1638.“
Welch Formulierungen! Auf heutigen Grabsteinen wird vielleicht noch ein Beruf erwähnt. Aber welche Sätze fallen jedem von uns ein, um das Leben zu resümieren? Im Barock wurden in Salzburg so kunstfertige Antworten ersonnen, dass daraus ein Buch geworden ist. Angeregt von Maximilian Fussl, Lateinprofessor an der Universität Salzburg, hat Christoph Brandhuber dreizehn Jahre barocke Inschriften in Salzburg entschlüsselt. Die prächtigsten und eloquentesten sind nun publiziert.
Ab 1600 würden solche Inschriften immer wortreicher und anspruchsvoller, sagt Brandhuber. Als Beispiel vom Höhepunkt der Inschriftenkunst um 1700 führt er uns ins südliche Seitenschiff der Stiftskirche St. Peter zum Grabmal von Erzabt Edmund Sinnhuber, Erbauer der Edmundsburg. Auch diese Inschrift ruft mit „Asculta viator!“zum Innehalten auf. „Höre, Wanderer! Dieser Stein hier erhebt sehr stark seine Stimme: Wie ruft er doch klagend laut als marmorner Herold!“Und warum liegt da ein Straußenvogel? Der sei das Wappentier dieses Abtes, weil er aus einer Familie der Drahtzieher gekommen sei, erläutert Brandhuber. Der Legende nach habe ein Strauß Eisen gefressen, das in dessen Magen gehärtet worden sei. Mit dieser angedichteten Eigenschaft sei er der Eisenverarbeitung zugeordnet worden. Auf dem Grabmal des Abtes liegen ein toter Strauß und ein zerbrochenes Hufeisen – Symbole für Tod und Vergänglichkeit.
In solchen Inschriften ist Gedenken verewigt – an Äbte, Erzbischöfe, Beamte, Bürger und Kinder. Ihn fasziniere, „dass das barocke Salzburg gleichsam aufersteht, dass man von Inschrift zu Inschrift ziehen kann, und jede erzählt von einem Einzelschicksal“, sagt der Archivleiter.
Wortspiele würden nach Berufen oder Titeln differenziert. Ein „nota bene“verweise auf einen Notar. „Liber baro“stehe für Freiherr. In der Kreuzkapelle von St. Peter ist ihm die Inschrift von Raphael Helmreich aufgefallen, Wirt vom „Goldenen Schiff“am Residenzplatz (heute Hypobank). Da steht: „Halte ein den Schritt, Wanderer, und sieh: Ein Gasthaus ist hier des Wirts, der dir aus seinem Keller kostenlos einen Trunk spendiert, für die Seele sehr heilsam: Bedenke das Sterben! Wenn du hingegen diese Wohltat dankbar vergelten willst, dann spendiere ihm den Zutrunk deiner Andacht, auf dass er ihm zuträglich sei und seiner Seele zum Heile gereiche für die ewige Ruhe. Um diese zu erlangen, wünscht sich hier des Öfteren deine Einkehr und lädt dich ein Raphael Helmreich, Bürger dieser Stadt und Wirt.“
Vor allem Professoren der Benediktineruniversität hätten so etwas verfasst. Die hätten einander doppelt angespornt – einerseits möglichst prägnant zu schreiben, um den Text auf dem Stein unterzubringen, andrerseits effektheischend mit gefinkelten Zitaten und Wortspielen.
Nur von zweien ist überliefert, dass sie selbst den Text für ihre Gräber verfasst haben. Der eine ist Erzbischof Max Gandolph, der für sein Wandgrabmal im Dom ausführt: „Endlich nach vielen durch deren besondere Hilfe glücklich überstandenen Mühen habe ich im Alter von 65 Jahren lebenssatt am 3. Tag des Monats Mai im Jahre 1687 meine nach ihrem Ebenbilde geschaffene Seele zu ihrem Urbild zurückgesandt, den aus Erde gebildeten Leib aber habe ich zu Füßen meines Erlösers hierher zurückgelegt, auf dass er denselben als gnädigen Richter erwarte. Meine Herde habe ich geweidet mit Liebe, Beispiel, Wort, Tat.“Der andere ist Wolf Dietrich. Der hat auf zwei Messingtafeln in der Gabrielskapelle im Sebastiansfriedhof für sich ein schmuckloses, stilles Begräbnis vorgeschrieben. „Niemand soll Trauerkleidung (...) anlegen, sondern die Leute sollen eher Gott, den Besten und Größten, für die Seele und die Sünden des Verstorbenen anflehen und um Verzeihung bitten.“Doch Christoph Brandhuber zufolge hat sich Markus Sittikus darüber hinweggesetzt und seinen Vorgänger prunkvoll zu Grabe tragen lassen.
„Man lässt das barocke Salzburg gleichsam auferstehen.“Christoph Brandhuber, Autor