„Luther war uns als Medienmann voraus“
Das Lutherjahr rückte die evangelischen Kirchen stark ins Rampenlicht. Warum erreicht die Kernbotschaft trotzdem nur die inneren Kreise?
Der evangelische Bischof Michael Bünker zieht im SN-Gespräch eine auch selbstkritische Bilanz zum Gedenkjahr „500 Jahre Reformation“. SN: Was ist den evangelischen Kirchen im Lutherjahr in Österreich gelungen, was nicht? Bünker: Ich denke, dass es gelungen ist, eine größere Öffentlichkeit für Martin Luther und seine Anliegen zu interessieren, bis dahin, dass sich auch katholische Bildungseinrichtungen oder Klöster intensiv damit auseinandergesetzt haben. Auch von staatlicher Seite fand das Reformationsjubiläum im Bund, in einzelnen Ländern und Gemeinden viel Aufmerksamkeit. Gleichzeitig wurden problematische Seiten Luthers wie sein Verhältnis zum Judentum nicht verschwiegen. SN: Klassische Begriffe wie Rechtfertigung sind heute aber kaum kommunizierbar. Das ist richtig. Aber die Sache, um die es geht, ist brennend aktuell. Die Frage der voraussetzungslosen Anerkennung jedes Menschen ist eine, die uns heute sehr beschäftigt und immer mehr beschäftigen muss. Das ist ein Kern der Rechtfertigungslehre, das voraussetzungslose Ja durch Gott zu jedem Menschen. SN: Beide christlichen Kirchen bewegen sich in einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. Haben Sie im Lutherjahr auch andere Menschen erreicht? Das glaube ich schon, weil es eine beeindruckende Zahl von öffentlichen Veranstaltungen gegeben hat. An denen haben sicher auch viele Menschen teilgenommen, die nicht evangelisch sind oder sogar weit von jeder Kirche entfernt sind. SN: Was würden Sie einem Jugendlichen sagen, der fragt: Warum soll ich an Gott glauben? Ich würde sagen, dass der Glaube frei macht vom blinden Gehorsam allen Autoritäten gegenüber. Er macht Mut zum Selbstdenken und er weckt die Verantwortung für die Mitmenschen und für die Welt, für die Schöpfung, für die Natur. SN: Ist das nicht ein sehr verkopftes Programm? Braucht es nicht mehr Emotion? Das braucht es sicher auch. Das kann man aber am ehesten in einer lebendigen Gemeinschaft vermitteln, in persönlichen Beziehungen. Auch ehrenamtliche Projekte, in denen sich Jugendliche engagieren können, sind eine gute Gelegenheit dazu. Junge Leute wollen etwas erleben, sie suchen reale Erfahrungen von Sinn, von Gebraucht-Werden und Etwas-bewirken-Können. SN: Zeigt sich da eine Schwäche der evangelischen Kirchen, dass das Erlebnishafte dort schwächer ausgebildet ist als etwa bei katholischen Events für Jugendliche? Es gibt auch evangelische Events für Jugendliche mit starkem Erlebnischarakter, wie etwa zuletzt beim Fest auf dem Rathausplatz. Aber das Spektakulum, das Sichtbare ist den Evangelischen nicht unbedingt als Stärke in die Wiege gelegt. Wir verstehen uns mehr auf das Wort, das Hören, die Musik. Das sind die urprotestantischen Stärken. Aber ich glaube, dass wir mit dem Reformationsball und mit dem Fest auf dem Rathausplatz gezeigt haben, dass wir auch feiern können, ohne dass man deshalb auf riesige Massenevents setzen muss. Das würde uns nicht liegen und da würden wir uns auch nicht wohlfühlen. SN: Evangelische wie katholische Kirche stehen im Verdacht, zu sehr dem Zeitgeist zu folgen. Ist die Kritik, auch gegenüber dem Staat, ausreichend da? Das meine ich schon. In der Flüchtlingsfrage gibt es eine große Übereinstimmung von Kardinal Schönborn und mir. Und das entspricht gar nicht dem Zeitgeist, der zunehmend nach rechts rückt. Daher sind die Stimmen der Kirchen kritisch und werden es zunehmend sein. SN: Warum kam es zur Bewegung nach rechts, wo es in Österreich doch noch eine erhebliche Anzahl an Christen gibt? Die Zahl der Kirchenmitglieder ist weit höher als die Zahl jener, die engagiert am kirchlichen Leben teilnehmen. Daher stoßen die Gesprächsmöglichkeit und der Austausch mit den eigenen Kirchenmitgliedern an Grenzen. Deshalb überrascht es nicht, wenn sich in gesellschaftlichen Fragen im Durchschnitt der Kirchenmitglieder kein großer Unterschied zum Durchschnitt aller Österreicher findet. Wenn zehn bis maximal 20 Prozent regelmäßig am kirchlichen Leben teilnehmen, sind 80 bis 90 Prozent ohne Information und bilden sich ihre Meinung wie alle anderen Österreicherinnen und Österreicher. SN: Melden sich die Kirchen außerhalb ihrer Kerngemeinden zu wenig zu Wort? Sie melden sich und die Reaktionen sind nicht immer freundlich. Aber die Möglichkeit, mit einer großen Zahl von Menschen ins Gespräch zu kommen, stößt an Grenzen. SN: Fehlt es an Kreativität, um andere Wege zu finden? Ja, da muss man sehr selbstkritisch als Protestant sagen, dass wir von der Medienrevolution, die Luther gebracht hat, heute weit entfernt sind, etwa was die sozialen Netzwerke betrifft. Da stehen die Kirchen noch sehr am Anfang. SN: Luthers Medienbewusstsein müsste in die heutige Zeit übertragen werden? Das ist sicher eine ganz zentrale Aufgabe, weil neue Medienkanäle auf den Plan treten und die traditionellen Kanäle begrenzt sind. Die Kirchen haben da noch nicht wirklich den Zugang gefunden. Im 16. Jahrhundert waren kirchliche Anliegen führend in der Medienprä- senz. 70 Prozent von dem, was gedruckt wurde, stammte von Luther. SN: Deutsche Medien haben Luther als deutschen Junker gefeiert. Sehen Österreicher den Reformator anders? Ja, das glaube ich schon. Das Verbindende ist das Geschenk der gemeinsamen deutschen Schriftsprache, die wir ohne Luthers Bibelübersetzung so nicht hätten. Aber was wir aus österreichischer Sicht besonders mit Luther verbinden, ist, dass er der Funkengeber war. Er hat vieles in Gang gesetzt, was auch bei uns vorhanden war. Ich denke etwa an die Stadt Schwaz in Tirol, damals durch den Silberbergbau die zweitgrößte Stadt Österreichs. Dort hat die Reformation sofort Fuß gefasst, das heißt, es war schon vorher eine Unruhe da, sodass der Funke von Luther sofort gezündet hat. Das hatte in Schwaz keine Zukunft, weil die Obrigkeit sofort massiv eingegriffen hat. Aber in Schladming oder in Kärnten war es anders.
Luther war wie ein Brennglas, in dem viel an gesamteuropäischer Aufbruchstimmung, auch außerhalb von Deutschland, gebündelt wurde. Das war seine Funktion auch für Österreich: ein Initiator von Bewegungen, die unterschwellig schon vorhanden waren, aber durch Luther dann ihren Ausdruck gefunden haben.