Ein Besuch im Baskenland
Der Konflikt in Katalonien erinnert die Basken an ihre kaum verheilten Wunden. Die Angst geht um vor einem Übergreifen der katalanischen Krise und Folgen für den fragilen Frieden.
MADRID. Zelai Nikolas Ezkurdia träumt von einer Kakophonie von Kochtöpfen. Die Basken sollen so zahlreich mit ihren Löffeln auf Töpfe und Pfannen schlagen, dass der Protest in Madrid nicht zu überhören ist, sagt sie. Doch in Bakio an der Biskaya-Küste unweit von Ezkurdias Wohnort ist an diesem Abend nur das Gurgeln des Atlantiks in der Bucht zu hören. Ezkurdia sitzt bei einer Tasse Tee in der örtlichen Pizzeria La Parra. Ihre Organisation GureEskuDago („ Es liegt in unseren Händen “) veranstaltet seit Beginn derKri sein Katalonienvo reinigen Wochen So lid aritäts kundgebungen im Baskenland und ruft zum abendlichen Topfschlagen auf.
Tausende Basken gehen auf die Straße, um ihre Verbundenheit mit den Katalanen zu zeigen. Mariano Rajoy muss sich deshalb in Madrid aber wohl noch keine Ohrstöpsel zulegen. Die Angst, sich politisch zu äußern, sitze tief in den Köpfen der Basken, meint Ezkurdia. Abends auf Töpfe zu schlagen sei für viele nach Jahrzehnten der Gewalt schon ziemlich mutig, findet sie.
Doch nicht nur die Bevölkerung wisse derzeit nicht, wie viel sie riskieren soll, um den Unabhängigkeits befürwortern in Katalonien ihre Unterstützung zu zeigen, sagt die Aktivist in. Auch diebaskisc he Regierung der bürgerlich-national istischenPNV könne derzeit nicht abschätzen, wieweit sie gehen könne, meint Ezkurdia. „Ich glaube, sie haben Angst, dass sie die Nächsten sind, gegen die Madrid vorgeht, sollten sie auch nur irgendeinen Grund dafür liefern.“Die Erwartung, dass die katalanische Krise auf das Baskenland übergreife, sei bei den Kundgebungen ihrer Organisation mit Händen zu greifen, sagt Ezkurdia. Katalanen und Basken – sie spricht immer nur von einem „Wir“. Den Rest von Spanien bezeichnet sie als „sie“. Dann beginnt sie vom Spanischen Bürgerkrieg zu sprechen.
„Als unsere autonome Republik am Boden lag nach der Zerstörung von Gernika durch die deutsche Luftwaffe 1937 sind unsere Kämpfer nach Katalonien gezogen, um dort gegen den Feind zu kämpfen“, sagt Ezkurdia. Ihr Großvater sei damals Teil der baskischen autonomen Regierung gewesen. Die Familie war nach dem Sieg der Franco-Truppen im Baskenland bis zum Tod des Diktators 1975 geächtet, erzählt sie. Die Missachtung baskischer Opfer habe aus ihrer Sicht mit der demokratischen Verfassung Spaniens 1978 kein Ende gefunden. „Diejenigen, die unter der ETA gelitten haben, erhalten Entschädigung, diejenigen, die von der GAL ermordet oder gefoltert worden sind, bekommen nicht einmal eine Anerkennung“, sagt Ezkurdia. GAL – Grupos Antiterroristas de Liberación. Die verdeckt agierenden paramilitärischen Einheiten jagten, folterten und ermordeten von 1983 bis 1987 Dutzende von tatsächlichen oder vermeintlichen ETA-Mitgliedern. Die sozialistische Regierung von Felipe González muss die Tätigkeiten der GAL damals zumindest gebilligt haben, sind sich Historiker einig.
Ezkurdia zuckt mit den Schultern, als sie nach ihrer Meinung zum Einsatz der Guardia Civil und der nationalen Polizei gegen das katalanische Referendum am 1. Oktober gefragt wird. Die Katalanen seien lange naiv gewesen in ihrer Sicht auf den spanischen Staat. „Unsere Regierung hat 2010 mit dem Plan Ibarretxe schon einmal eine Idee vorgelegt, wie eine autonome Gemeinschaft innerhalb Spaniens ihren Wunsch nach mehr Eigenständigkeit realisieren könnte. Das hat Madrid abgelehnt. Über was wollen sie mit uns denn verhandeln?“, fragt sich die Aktivistin.
Wieder redet Ezkurdia von einem katalanisch-baskischen „Wir“. Sollte die Katalonien-Krise das Baskenland infizieren, könnte dann ETA ihren seit 2011 unbefristeten Waffenstillstand aufkündigen? Die Basken selbst hätten ETA in die Schranken gewiesen. Auf der anderen Seite liefere der spanische Staat derzeit denen die Argumente, die nicht an eine friedliche Konfliktlösung glauben. Sie nimmt ihren letzten Schluck Tee. „Ich hoffe, dass meine Kinder nicht das durchmachen müssen, was meine Großeltern, meine Eltern und ich selbst erleben mussten“, sagt sie.
Während der Atlantik in der Bucht von Bakio das Land mit seinen Brechern zu verschlingen scheint, schmiegt er sich genügsam an die Promenade von San Sebastián. Unweit der Kathedrale reibt sich der 42-jährige Urtzi Errazkin den Schlaf aus den Augen. Sein Mitstreiter Naike Diez bestellt ihm einen doppelten Cortado. Er ist 16 Jahre jünger als Errazkin, aber wie er Mitglied der Organisation Etxerat. Der baskische Name bedeutet „heimwärts“und beschreibt, was die Aktivisten sich wünschen. Sie alle haben Familienangehörige in spanischen oder französischen Gefängnissen. Die einen wurden wie Errazkins jüngerer Bruder Ugaitz als Mitglieder von ETA verhaftet. Die anderen hatten sich wie der Vater von Naike Diez in inzwischen verbotenen Organisationen oder Parteien wie Herri Batasuna engagiert. Errazkin ist erst gestern von einem Besuch bei seinem Bruder in einem Gefängnis von Paris zurückgekehrt.
Alle paar Wochen sehe sein Wochenende wie folgt aus, erzählt der 42-Jährige. „Ich komme von der Arbeit, packe meine Sachen, setze mich ins Auto, um 650 Kilometer zu fahren, sehe meinen Bruder und fahre dann zurück“, sagt er. Er habe Glück, dass seine Familie groß sei und sich die Geschwister bei den Fahrten abwechseln könnten. „Andere fahren jedes Wochenende in Gefängnisse, die Hunderte Kilometer entfernt liegen. Immer wieder schlafen manche am Steuer ein. Der Schweizer Sonderberichterstatter über Folter der UNO, Nils Melzer, hat in diesem Jahr den Umgang mit ETA-Häftlingen gerügt. Spanien würde sogar auf Frankreich Druck ausüben, dass es dort festgenommene ETA-Mitglieder ebenfalls in Gefängnissen fern von der Grenze unterbringe, sagt Errazkin.
Während Großbritannien nach dem Karfreitagsabkommen 1998 Amnestien für IRA-Kämpfer erlassen und den ehemaligen Feind in Form der Sinn-Féin-Partei sogar an der Macht in Belfast beteiligt habe, habe es einen vergleichbaren Prozess im Baskenland nie gegeben. Die ETA legte ihre Waffen nieder, ohne dass Madrid sich im Gegenzug für Gespräche offen zeigte. „Ich will nicht schönreden, was mein Bruder getan hat. Aber Frieden muss man doch mit seinen Feinden schließen“, meint der Baske.
Die Katalonien-Krise könne dazu führen, dass Madrid noch weniger Anlass sieht, über den Sinn international umstrittener Haftbedingungen für Gefangene nachzudenken, fürchten die Aktivisten von Etxerat. Als Konsequenz sehen sie einen unvollständigen Frieden, der anders als in Nordirland dem an der Gewalt beteiligten Teil der Gesellschaft kein Angebot zur Versöhnung macht. Sein Großonkel sei im Bürgerkrieg als Kommunist erschossen worden, erzählt Diez. Die Familie galt unter Franco als „rot“. Nach einem weiteren Konflikt im Baskenland finde sich seine Familie wieder auf der Verliererseite. Wo es aber immer nur Gewinner und Verlierer gebe, sei auch die Saat gelegt für weitere Gewalt, fürchtet Diez.
Die größte Stadt des Baskenlandes, Bilbao, hat einen großen Hafen. Möwen verirren sich manchmal an die Plaza Federico Moyúa im Zentrum der Stadt. Das Hotel Ercilla liegt in der Nähe des zentralen Platzes. Josu Puelles betritt die Lobby im offenen Jeanshemd. Der Polizist tritt locker auf in einem Land, in dem die ETA noch vor einigen Jahren Mitarbeiter der Sicherheitsorgane ermordet hat. Puelles genehmigt sich ein Bier nach Feierabend. Als müsste er seine Zunge lockern, bevor er erzählt, wie sein Bruder Eduardo am 19. Juni 2009 in seinem Auto verbrannte. Es war die letzte Autobombe der ETA, die den 39Jährigen tötete. Was Puelles damals fühlte, was er heute empfindet, er kann oder will es nicht verraten. Als Vizepräsident des ETA-Opferverbandes Covite setzt er sich dafür ein, dass es für die Verwandten von Naike Diez und Urtzi Errazkin niemals Strafmilderungen geben wird. Denn das Gift der ETA zersetze die baskische Gesellschaft bis heute, sagt er. Dies stünde am Anfang einer Selbstreinigung und eine solche bedürfe einer harten Hand, sagt der Polizist. Sei also der Weg falsch, den die britische Regierung in Nordirland eingeschlagen habe? „In Nordirland gibt es immer noch Gewalt. Hier haben wir die Lage unter Kontrolle.“Da ist es wieder, das Wort „wir“. Auf Nachfrage sagt Puelles, dass er damit die gesetzestreuen Bürger meint. Diejenigen, die zuerst im Baskenland und nun in Katalonien das Recht in die eigenen Hände nehmen, müssten ihre Grenzen aufgezeigt bekommen, sagt er.
Er verrät dann doch, was der Verlust des Bruders in seinem Leben verändert hat. Er habe seine Nächte mit historischen Büchern und politischer Theorie verbracht, um zu verstehen, warum sein Bruder sterben musste. Der Polizist habe gelernt, dass der Nationalismus der Basken und Katalanen eine Kopie der deutschen Romantik sei. Eine Ausgeburt von Intellektuellen, die angewidert von der Industrialisierung von etwas träumten, was andere später Volksgemeinschaft nannten. Sein Bruder musste also wegen Herder sterben, meint er. Die historischen Rechtfertigungen für die Gewalt der Basken und den Unabhängigkeitstaumel der Katalanen nennt er Mythen. „Wir dürfen nicht akzeptieren, dass sie ihren Opferkult über das Gesetz stellen“, fordert er – vielleicht aus Angst, dass in naher Zukunft wieder Menschen wegen Herder sterben müssen.
„Die Angst sitzt tief in den Köpfen.“Zelai Ezkurdia, Aktivistin