„Es war ein selbst gewählter Schritt“
Die erste Chefredakteurin einer österreichischen Tageszeitung kehrt dem heimischen Medienmarkt den Rücken. Wieso Alexandra Föderl-Schmid vom „Standard“nach Israel wechselt.
Nach zehn Jahren steigt Alexandra Föderl-Schmid hierarchisch ab. Und das voll und ganz bewusst. Die gebürtige Oberösterreicherin hat sich gegen die Chefetage des „Standard“und für eine Stelle als IsraelKorrespondentin bei der „Süddeutschen Zeitung“(SZ) entschieden. Nach einer Podiumsdiskussion des Katholischen Akademikerverbands Salzburg spricht die 46-Jährige mit den SN über „Frechheiten“und „Blödsinn“zum Start ihrer Chefredakteurszeit. Sie beschreibt, was im deutschen Journalismus besser läuft. Und sie erinnert sich an ihren Lebensabschnitt in Salzburg.
SN: Frau Föderl-Schmid, wir treffen Sie in Salzburg. Welchen Bezug haben Sie zu der Stadt?
Alexandra Föderl-Schmid: Ich habe hier am Rudolfskai studiert und habe aus der Zeit einiges mitgenommen. Und wann immer ich gefragt werde, komme ich gern wieder.
SN: Gab es nie die Überlegung, den Lebensmittelpunkt komplett nach Salzburg zu verlagern?
Nein, weil ich bereits im zweiten Semester beim „Standard“begonnen habe. Ich bin dann lange von Linz nach Salzburg gependelt. Ich war auch die Meisterin im Besetzen vom Zugtelefon: Ich bin oft nicht fertig geworden und musste dann noch im Zug diktieren (lacht). Rückblickend tut es mir leid, dass ich wenig Zeit hatte, mich in den Salzburger Bibliotheken ausgiebig umzusehen.
SN: Salzburg ist aber nur eine Zwischenstation zwischen München, Berlin und Tel Aviv. Wo leben Sie derzeit eigentlich?
Im Moment lebe ich in München im Hotel. In Berlin habe ich eine Wohnung und in Tel Aviv habe ich erst kürzlich eine gefunden. In Zukunft werde ich zwischen Deutschland und Tel Aviv pendeln.
SN: Ganz direkt: Wieso ausgerechnet Israel?
Weil die Stelle frei war und ich davon erfahren habe. Nach zehn Jahren in der Chefredaktion wollte ich einfach wieder raus. Statt Sitzungen, Sitzungen, Sitzungen wollte ich schreiben, schreiben, schreiben.
SN: Doch rein hierarchisch ist es ein Abstieg …
Auch die Kollegen von der „Süddeutschen“haben mich oft darauf angesprochen – weil es ungewöhnlich ist. Ich hatte auch andere Optionen. Aber ich wollte wieder mehr Lebensqualität. Chefredaktion bedeutet, dass man fast 24 Stunden für das Medium verantwortlich ist. In meinem Fall hieß das, dass ich viele Nächte im Newsroom am Liveticker verbracht habe. Man ist auch verantwortlich für die Anliegen der Kolleginnen und Kollegen. Es ist einfach viel mehr Management. Und es hat mit dem, was journalistisches Arbeiten eigentlich ausmacht, also rausgehen und schreiben, doch sehr wenig zu tun.
SN: Aber wieso haben Sie den Schritt genau jetzt gesetzt?
Mein Vertrag ist zum 30. 6. ausgelaufen. Und ich habe mich dann für den neuen Weg entschieden. Das wurde auch bei der „Süddeutschen“als ungewöhnlich erachtet. Aber die Chefredakteure sind meinem Wunsch nachgekommen.
SN: Das heißt, Sie sind auf die SZ zugegangen?
Mit dem Wunsch, dass ich nach Tel Aviv gehen will, ja.
SN: Es war aber nicht das erste Mal, dass Ihr Vertrag beim „Standard“verlängert werden musste. Was war jetzt anders?
Ich habe das Gefühl, dass ich den „Standard“zu einem Zeitpunkt verlassen habe, an dem die Print-Online-Zusammenlegung gut bewältigt worden ist. Dazu ist der Umzug geschafft worden (in einen gemeinsamen Newsroom, Anm.). Zudem kommt, dass ich 46 bin. Wenn ich noch fünf Jahre weitergemacht hätte, wäre ich über 50 gewesen – ich weiß nicht, ob ich den Schritt dann noch gemacht hätte. So erschien mir der Zeitpunkt gut. Und es war ein selbst gewählter Schritt, das möchte ich nochmals betonen.
SN: Wie stark hat die Entwicklung des „Standard“eine Rolle gespielt? Es wird spekuliert, dass der Vorstand stärker auf Online als auf Print setzt.
Es gab 2013 die Entscheidung, Print und Online zusammenzulegen. Ich stehe für einen journalistischen Weg. Und ich finde, der „Standard“hat diesen Weg gut beschritten. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
SN: Dann nur noch kurz zu Ihrem Nachfolger, dem früheren „Zeit“-Redakteur Martin
Kotynek. Kennen Sie ihn? Ja, ich habe ihn inzwischen kennengelernt. Es gab mehrere Treffen.
SN: Trauen Sie ihm den Job zu?
Er traut ihn sich offensichtlich zu.
SN: Sie waren 2007 die erste Chefredakteurin Österreichs. Zehn Jahre später gibt es weiter nur eine Chefredakteurin. Ist Journalismus immer noch ein Männerberuf, wie Sie auch in Ihrer Diplomarbeit 1993 geschrieben haben?
Ich glaube schon, dass sich die Repräsentanz von Frauen geändert hat. So, dass man nicht mehr sagen kann, Journalismus sei ein Männerberuf. Aber es ist immer noch ein sehr tristes Bild.
SN: Wie könnte man dieses triste Bild aufhellen?
Indem man kompetente Frauen in Positionen setzt. Das Geschlecht darf nicht das Kriterium Nummer eins sein. Aber es darf auch nicht sein, dass Frauen etwas nicht werden können, weil sie Frauen sind.
SN: Ein Appell für Frauenquoten?
Nein. Ich bin nicht wirklich eine Anhängerin von Quoten. Vielleicht ist es als Übergang notwendig. Aber ich finde, man muss das Bewusstsein herstellen, dass mehr Frauen in Führungspositionen gehören. Es muss auch so sein, dass Männer in Karenz gehen – da muss man auf mehreren Ebenen ansetzen.
Ich war auch erstaunt, wie stark man es auf das Geschlecht runtergebrochen hat, als ich Chefredakteurin geworden bin. Die erste Frage, die mir bei einem Interview mit dem „Journalist“(Magazin, Anm.) gestellt wurde, war, wie ich als Frau auf so eine Position gekommen bin. In Wahrheit ist solch eine Frage eine Frechheit. Der „Falter“hat dann von einer „typisch rot-grünen GenderLösung“geschrieben. Das war ungefähr der gleiche Blödsinn.
SN: Wie hat sich die Branche allgemein seit Ihrem Einstieg in den 90ern entwickelt? Kann man Medien heute weniger glauben als damals?
Medien, die recherchieren, die einordnen, kann man heute genauso viel glauben. In Zeiten von „Fake News“sind die journalistischen Tugenden sogar noch wichtiger.
SN: Dennoch gibt es sicher einiges, das Medien besser lösen können. Was sind die größten Baustellen?
Etwas ist mir in meiner Deutschland-Zeit aufgefallen: das Streben nach höchster Textqualität, sowohl sprachlich als auch was die Recherche betrifft.
SN: Und dieses Streben ist in Deutschland ausgeprägter?
Ja. Aber man muss auch sagen, dass die Personalausstattung eine andere ist. Da arbeiten viel mehr Journalistinnen und Journalisten – und das zeigt sich auch in der Qualität.
SN: Wird in Deutschland also besserer Journalismus gemacht als in Österreich?
Der Qualitätsanspruch ist höher. Das liegt aber sicher auch daran, dass es mehr Medien gibt: Es gibt zwei öffentlich-rechtliche Rundfunksender, es gibt viel mehr Tageszeitungen. Das Messen, das Ringen ist also ein anderes. Und der Druck ist höher, Geschichten zu machen, mit denen man sich aus dem Informationswust abhebt.