Was das Wiener Kaffeehaus ausmacht
Die Arbeit der deutschen Provenienzforscher stößt an Grenzen.
„So richtig hippe moderne Cafés“gebe es nicht in Wien, versichert die Autorin Stefanie Sargnagel. Ein Kaffeehaus sei nicht cool. Was dann?
Es ist wie ein Gang durch 500 Jahre Kunstgeschichte: Hier ein Cranach, dort sind Dürer und Spitzweg, ein Manet, ein Monet und der Expressionismus von Otto Dix. Tausende solcher Bilder gingen durch die Hände von Hildebrand Gurlitt (1895–1956), einem der Kunsthändler Adolf Hitlers. Was er selbst gesammelt, was er ererbt und wiederum an seinen Sohn Cornelius Gurlitt (1932–2014) vererbt hat, ist nun erstmals ausgestellt.
Einen Tag nach der Eröffnung des ersten Teils in Bern mit von den Nazis als „entartet“verfemter Kunst ist seit Donnerstag auch der zweite Teil der Doppelausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt“zugänglich: In der deutschen Bundes- kunsthalle in Bonn sind 250 Werke mit weiterer kunsthistorischer Bandbreite als in Bern.
In „Bestandsaufnahme Gurlitt“in Bern und Bonn geht es aber nicht primär um die kunsthistorische Bedeutung oder den finanziellen Wert der Sammlung. Vielmehr soll Licht in ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte fallen: Wie war Hildebrand Gurlitts Verbindung zum Kunstraub der Nationalsozialisten?
Beispielhaft dafür ist die Zeichnung „Das Klavierspiel“von Carl Spitzweg: Sie stammte aus der Sammlung des Leipziger Musikverlegers Henri Hinrichsen. Gurlitt hatte sie Anfang 1940 für 300 Reichsmark von Hinrichsen gekauft, bevor dieser nach Brüssel flüchtete und später im NS-Vernichtungslager Auschwitz ermor- det wurde. Die Familie Hinrichsen fragte nach dem Krieg nach dem Verbleib. Hildebrand Gurlitt antwortete per Brief, das Bild sei verbrannt. Das war eine Lüge. 2012 tauchte der Spitzweg im „Schwabinger Kunstfund“auf. Details wie diese werden nun mit originalen Dokumenten aus dem ebenfalls bei Cornelius Gurlitt gefundenen Archiv des Vaters dokumentiert.
Das Spitzweg-Bild ist eines von sechs Werken aus dem Kunstfund, die bisher als NS-Raubkunst identifiziert worden sind. Rund die Hälfte der rund 1500 Werke des Bestandes seien bisher auf ihre Provenienz untersucht worden, sagt die Kuratorin Agnieszka Lulinska. Doch: Bei Weitem nicht alles ist Raubkunst. Unter jedem Bild steht eine ProvenienzLegende, oft ist der Satz zu lesen: „Aktuell kein Raubkunstverdacht.“
Die Arbeit der Provenienzforscher am Gurlitt-Fund stößt oft an Grenzen. Denn Hildebrand Gurlitt verkaufte zum einen die in den Museen beschlagnahmte „entartete Kunst“, zum anderen war er Einkäufer für Hitlers in Linz geplantes „Führermuseum“. Schwierig wird die Recherche auch deshalb, weil Hildebrand Gurlitt unter anderem in Frankreich über private Mittelsmänner und Zwischenhändler gekauft hat. „Bei vielen Bildern weiß man einfach nicht, wann er sie gekauft hat, von wem genau“, erläutert Agnieszka Lulinska. Und: Hildebrand Gurlitt frisierte seine Geschäftsbücher, er verschleierte in seiner Korrespondenz und er belog nach dem Krieg auch die Alliierten über seinen Kunstbesitz.