Erdo˘gans Zorn trifft Millionär
Die Verhaftung des Geschäftsmanns und Mäzens Osman Kavala markiert eine neue Eskalationsstufe im Feldzug von Präsident Recep Tayyip Erdoğan gegen kritische Stimmen in der Türkei.
Für die einen ist er ein international angesehener Verfechter demokratischer Werte, andere sehen in ihm einen „Terroristen“, der sich mit ausländischen Feinden der Türkei gegen das Land verschworen hat. In dieser Woche erließ ein Istanbuler Gericht Haftbefehl gegen den bekannten Geschäftsmann und Mäzen Osman Kavala. Seine Verhaftung bedeutet eine weitere Steigerung der Kampagne von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan gegen die Zivilgesellschaft.
Anti-Terror-Fahnder der türkischen Polizei hatten den 60-Jährigen vor zwei Wochen in einem Flugzeug am Istanbuler Atatürk-Airport festgenommen und seither verhört. Die Vorwürfe, auf die das Gericht den Haftbefehl stützt, wiegen schwer: Kavala soll versucht haben, „die verfassungsmäßige Ordnung abzuschaffen und die Regierung der Türkischen Republik zu stürzen“. Wann sein Prozess beginnt, ist noch unklar.
Aber wie häufig in derartigen Fällen, hat Staatschef Erdoğan das Urteil bereits gesprochen: Nun zeige sich „die wahre Identität dieses türkischen Soros“, wie Erdoğan Kavala in Anspielung auf den ungarischamerikanischen Mäzen George Soros nennt. Kavala stecke hinter den Gezi-Park-Protesten vom Frühjahr 2013, die zu landesweiten Massendemonstrationen führten, und habe versucht, die Nation von innen heraus zu zerstören, sagte Erdoğan vor der Parlamentsfraktion seiner Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP). Er drohte: „Wir werden es ihm heimzahlen!“
Regierungstreue Medien starteten sofort eine Hetzkampagne: Kavala, ein „Agent des Westens“, habe „Terrororganisationen gesponsert“und „die Türkei verraten“.
Die Anschuldigungen gegen Kavala seien „empörend“, twitterte Kati Piri, die Türkei-Berichterstatterin des Europaparlaments. Das USAußenministerium und das französische Außenministerium kritisierten Kavalas Verhaftung. Menschenrechtsorganisationen protestierten. In einem offenen Brief an Präsident Erdoğan forderten 35 ausländische Intellektuelle Kavalas sofortige Freilassung.
Tatsächlich muten die Vorwürfe absurd an. Der 1957 in Paris geborene Kavala übernahm 1982 die Leitung der von seinem Vater als Tabakhandel gegründeten Kavala Group, die heute vor allem im Immobiliensektor und im Bergbau aktiv ist. Der vielfache Millionär steckt die Unternehmensgewinne in die Förderung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten. Über sein Lebenswerk, die Stiftung Anadolu Kültür, unterstützt Kavala zahlreiche Kultur- und Menschenrechtsprojekte und gemeinsame Programme mit ausländischen Institutionen wie dem Istanbuler Goethe-Institut. Sein besonderes Anliegen gilt der Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern und einer friedlichen Lösung des Kurden-Konflikts.
Der Fall zeigt: Bei der Jagd auf Kritiker und Gegner kennt der türkische Staatschef offenbar keine Grenzen. Internationale Proteste sind ihm egal. Fast 8700 Hochschullehrer hat Erdoğan seit dem Putschversuch vom Juli 2016 per Dekret entlassen, mehr als 1200 Stiftungen und Vereine verboten. Seit Kavalas Verhaftung geht unter türkischen Intellektuellen, aber auch in Wirtschaftskreisen erst recht große Angst um.