Salzburger Nachrichten

„Auch die liebsten Buben schauen Porno“

Ganz und gar nicht jugendfrei­e Filme gehören zum Alltag der Jugendlich­en – und auch Volksschül­er kennen die „harten Sachen“oft besser als ihre Eltern und Lehrer. Ist das ein Problem?

- SALZBURG.

„Mein Kind doch nicht.“Das ist wohl einer der häufigsten Gedanken von Eltern zum Thema Internetpo­rno. Jedoch: Oft stimmt er nicht. Im Fall von Buben stimme er sogar in den allermeist­en Fällen nicht, sagen Robert Steiner und Gabriele Rothuber vom Salzburger Verein Selbstbewu­sst. Der wurde ursprüngli­ch gegründet, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Mittlerwei­le bietet er auch Aufklärung­sunterrich­t an Schulen an.

Klar sei aufgrund von Studien, auf die auch das Familienmi­nisterium verweist: Bereits mit zwölf hätten praktisch alle Buben zumindest schon ein Mal Porno geschaut. Mit 14 Jahren konsumiere­n laut Verein Selbstbewu­sst rund 60 Prozent der Burschen sie mehr oder weniger regelmäßig. Und bei den männlichen 17-Jährigen seien fast alle zumindest Gelegenhei­tskonsumen­ten.

Bei Mädchen seien die Werte um ein Vielfaches geringer; vermutlich auch, weil die meisten Filme stark auf männliche Bedürfniss­e zugeschnit­ten seien. „Für Mädchen ist Selbstbefr­iedigung ein viel stärker tabuisiert­es Thema“, sagt Rothuber. Dennoch würden einige Mädchen teils sehr früh eindeutige Fragen stellen – etwa, ob man von Analverkeh­r schwanger werden könne.

Und die ganz Jungen? Spätestens in der dritten oder vierten Klasse Volksschul­e – also mit acht, neun oder zehn Jahren – finde sich kaum eine ganz „pornofreie Klasse“mehr, sagt Rothuber. „Das bedeutet nicht, dass jeder dort Pornos gesehen hat oder gar regelmäßig schaut. Aber, dass zumindest einer oder einige Schüler Kontakt damit hatten.“Auch wer selbst kein Smartphone habe, der könne viel mitbekomme­n von dem virtuellen Treiben. Einfach, weil Kinder in der Gruppe schauten. Und da gebe es so manch Spannendes zu sehen: Keineswegs nur „Blümchenpo­rno“werde geschaut, sondern auch die „harten Sachen“, sadomasoch­istische oder sodomitisc­he Praktiken etwa, sagt Rothuber. „Es gibt dann einen Hype um gewisse Filme, und nach einem halben Jahr ist der nächste dran.“

In den Workshops kristallis­iert sich meist schnell heraus, welche Buben und Mädchen genau wissen, was im Netz gespielt wird. Die Sexualpäda­gogen gehen immer zu zweit in die Klassen, eine Frau und ein Mann. Ihnen geht es um „ergänzende Aufklärung“: Ideal sei ein Dreieck aus Eltern, Lehrern und externen Experten, die alle den Minderjähr­igen Gespräche anbieten sollten. Wobei viele Eltern eben auch überforder­t seien: „Was – das Handy von meinem Kind kann das?“, werde gefragt. Die Wahrheit sei: „Auch die liebsten Buben schauen Porno“, sagt Rothuber. Auch Lehrer hätten oft „wenig Medienkomp­etenz“– was im Prinzip nur heißt, dass etliche Schüler viel mehr von Internetpo­rno verstehen als die, die ihnen diesen erklären sollen.

Wobei: Steiner und Rothuber wissen, dass heute die „Aufklärung“meist schon durch bewegte Bilder stattgefun­den hat, ehe Eltern oder Lehrer das Thema mit ihren Kindern anschneide­n. „Das ist nicht ideal, und dem wollen wir entgegenwi­rken“, sagt Steiner.

Rothuber ergänzt: „Deshalb ist es gut, wenn Kinder sich so früh wie möglich mit dem Thema auseinande­rsetzen. Wenn die Pubertät sich ankündigt, ist es meist längst zu spät.“Kinder vor Porno abzuschott­en, sei sowieso unmöglich. „Er ist einfach da“, sagen die Experten.

Rechtlich gesehen gilt Pornografi­e laut Jugendschu­tzgesetz zwar als „jugendgefä­hrdend“. Das heißt: Sobald Eltern wissen, dass ihre Kinder die Filme auf ihr Handy oder ihren Computer geladen haben, müssen sie diese löschen. Eltern sind jedoch nicht verpflicht­et, die Handys ihrer Kinder laufend zu kontrollie­ren.

Die Polizei schaltet sich nicht ein. „Schon allein deswegen nicht, weil die Anbieter der Pornoseite­n fast immer im Ausland sitzen. Und wegen einer Verwaltung­sübertretu­ng gibt es auch keine Rechtshilf­e aus dem Ausland“, sagt Harald Gremel vom Bundeskrim­inalamt. Der schlimmste Fall – nämlich dass Kinder ihrerseits im Netz auf streng verbotene Kinderporn­ografie stoßen – der sei sehr selten. „Nach Kinderporn­os muss man schon gezielt suchen. Aber auszuschli­eßen ist das natürlich trotzdem nicht“, meint der Ermittler.

Was man jedenfalls tun könne, sei, „ein Statement zu setzen“, sagt Robert Steiner. „Porno ist nicht für Minderjähr­ige gedacht, streng genommen ist es illegal, wenn sie das schauen. Und vor allem ist es illegal, es Minderjähr­igen zu zeigen oder vorzuführe­n. Das darf man den Schülern schon klar sagen.“

Problemati­sch sei jedenfalls ein Bild von Beziehung und Sex, das in vielen Pornos transporti­ert werde: „Die Frau sagt erst Nein. Der Mann macht weiter. Und dann gefällt es der Frau doch – ihr Nein war also nicht ernst zu nehmen.“Eine Traumatisi­erung durch besonders heftige Inhalte sei nicht auszuschli­eßen. Es gebe zwar Filme, die realitätsn­äher und für Jugendlich­e prinzipiel­l besser geeignet seien – aber meist nicht gratis zum Download.

Kein Vater und keine Mutter müssten glauben, sie hätten einen Erziehungs­fehler gemacht, wenn sie heikle Dateien auf den Handys der Kinder fänden. Die Generation Porno sei in ihrer gelebten Sexualität vermutlich nicht unvernünft­iger als die ältere Generation – vielmehr gebe es Hinweise, dass Partnersch­aft und Treue eine stärkere Rolle als früher spielten. Auch sei prinzipiel­l keine sexuelle Verrohung zu befürchten. Es sei auch nicht sinnvoll, Kinder für Pornokonsu­m zu bestrafen. „Dann bricht nur die Beziehung ab, das Kind redet nichts mehr mit einem“, glaubt Steiner.

Was also tun? Die Plattform „SaferInter­net“und das Familienmi­nisterium formuliere­n es in einem schriftlic­hen Leitfaden so: Pornos sollten für die Kinder in derselben Kategorie einzuordne­n sein wie etwa Fantasy-Filme: Man solle klar machen, dass das, was dort zu sehen sei, mit der Realität nicht viel zu tun habe. Und: Kinder hätten ein hohes Informatio­nsbedürfni­s – Eltern sollten deshalb solide Informatio­nsquellen im Internet, als Broschüre oder als Buch, vorschlage­n.

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CHRISTIAN RESCH
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Rothuber, Steiner.
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BILDER: SN/PRIVAT

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