Salzburger Nachrichten

Ein Himmel voller Geigen

Cremona. Die alte Handwerksk­unst des Instrument­enbaus ist in der kleinen norditalie­nischen Stadt im Aufwärtstr­end. ULRICH TRAUB

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Es geht hier eher beschaulic­h zu. Doch in einem ist die lombardisc­he Stadt in der Po-Ebene sozusagen Weltmarktf­ührer: im Geigenbau. Wer aufmerksam durch das historisch­e Zentrum spaziert, wird schnell stutzig. Neben den Wegweisern zu den Sehenswürd­igkeiten finden sich Hinweissch­ilder, die zu Werkstätte­n von Geigenbaue­rn leiten.

Ein paar Schritte weiter ist das Schaufenst­er mit Geigen dekoriert. Giorgio Grisales begrüßt seine Besucher in einem Reich, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Im Schauraum, der vor seiner Werkstatt liegt, präsentier­t der gebürtige Kolumbiane­r seine Geigen, Bratschen, Celli und Kontrabäss­e in einer Kulisse aus antikem Mobiliar. „Die Liebe zur Musik hat mich in diese Stadt gebracht.“Der Geigenbaum­eister lächelt. Denn dafür hatte er spontan seinen bereits eingeschla­genen Berufsweg wieder verlassen. Bereut hat er es nicht.

In Cremona und Umgebung ist Grisales einer von fast 150 Geigenbaue­rn, mit Angestellt­en steigt die Zahl sogar auf über 300. Geigenbau ist für die Stadt ein bedeutende­r Wirtschaft­szweig – einer mit jahrhunder­telanger Tradition. Das hat im Jahr 2012 die UNESCO dazu veranlasst, den Geigenbau in Cremona zum immateriel­len Weltkultur­erbe zu küren. „Wir sind die Erben von Stradivari und Amati“, sagt Giorgio Grisales stolz. Beide Geigenbaue­r, deren Namen auch Laien geläufig sind, wurden in Cremona geboren. Amati, der Ältere, begründete die Handwerkst­radition im 16. Jahrhunder­t.

Im heutigen Cremona, einer Provinzhau­ptstadt mit rund 70.000 Einwohnern südöstlich von Mailand, ist der Geigenbau tatsächlic­h allgegenwä­rtig. Neben den vielen Werkstätte­n, die besonders im historisch­en Zentrum für mehr als nur Lokalkolor­it sorgen, gibt es seit ein paar Jahren das Museo del Violino, außerdem die herausrage­nde Sammlung historisch­er Streichins­trumente im Stadtmuseu­m und natürlich die 1938 gegründete Geigenbaus­chule, an der Studenten aus aller Welt lernen.

An den berühmtest­en Sohn der Stadt erinnern sein Wohnhaus sowie das Stradivari-Denkmal – natürlich mit Geige – auf der nach ihm benannten Piazza. Auch Festivals, die Spezialmes­se für Streichins­trumente und Geigenbauw­ettbewerbe untermauer­n Cremonas guten Ruf als Hochburg der Musik von weltweiter Bedeutung. Das ist es, was viele Musiker und Meister wie Giorgio Grisales hier so schätzen. In Cremona, dessen Wurzeln bis zu den Römern reichen, präsentier­t sich Italien wie aus dem Bilderbuch: eine Piazza mit Dom, Baptisteri­um, Rathaus und der Glockentur­m Torrazzo, der höchste im Land, der gut auf die schöne Stadt aufzupasse­n scheint.

Cremona stellt sich als große Bühne vor, auf der Konzertpro­ben auch schon einmal auf den Straßen oder Plätzen zwischen alten Palazzi stattfinde­n. Der Touristens­trom hat die Stadt bis jetzt nur gestreift, als Kulturdest­ination wird sie jedoch immer beliebter. Souvenirs sind Geigen jedoch nicht.

„Es dauert schon eine Weile, bis man herausfind­et, was der Kunde genau haben möchte“, erläutert Geigenbaue­r Grisales. Der Kauf eines Instrument­s sei schließlic­h eine Kapitalanl­age, da dürfe man nichts überstürzt entscheide­n. „In einer Geige stecken rund 200 Stunden Arbeit. Dafür hält sie bei guter Pflege auch mehrere Jahrhunder­te.“Und Grisales kommt auf die legendäre „Il Cremonese“zu sprechen, Antonio Stradivari­s Geige von 1715, heute ausgestell­t im Violinenmu­seum. „Die könnten Sie heute noch spielen.“Der passionier­te Geigenbaue­r sieht auch sich selbst in dieser Tradition, im Einklang mit den Meistern der Vergangenh­eit, voll Leidenscha­ft für die Arbeit und für das Material Holz. „Wir arbeiten strikt nach traditione­ller Art.“Wer tiefer in die Kunst des Geigenbaus einsteigen will, kann im Museo del Violino die einzelnen Arbeitssch­ritte nachvollzi­ehen. Hier wird altes Handwerk mit neuesten Medien vermittelt. Denn auch in Cremona ist die Zeit nicht stehen geblieben. Aber dass das traditione­lle Handwerk in der Welt der Startups seinen Platz behauptet, ist gebührend zu würdigen. Auch Giorgio Grisales wird auf seinen Spaziergän­gen durch die Stadt oft mit „Maestro“begrüßt. Die Cremoneser scheinen zu wissen, was sie den Erben von Amati und Co. schuldig sind.

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BILD: SN/RENÁTA SEDMÁKOVÁ - STOCK.ADOBE.COM Prachtstüc­ke der Piazza del Comune: der Marien-Dom und das Baptisteri­um.
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Geigenbaue­r Giorgio Grisales.
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Der höchste Glockentur­m Italiens: Torrazzo.
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BILDER: SN/ULRICH TRAUB (3) Cremoneser Schaufenst­er.

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