Salzburger Nachrichten

Reise in die Realität

- Www.politicalt­ours.com

„An interestin­g afternoon“war uns angekündig­t worden. Doch das entpuppte sich schnell als britisches Understate­ment. Als wir elf Reisenden auf dem Berg Garizim oberhalb von Nablus, von wo wir die palästinen­sische Stadt im Talkessel überblicke­n, aus dem Bus klettern, haben wir Lärm, Schmutz und Armut der Umgebung gerade einmal hundert Meter hinter uns gelassen. Am Ende einer gut geschützte­n, von Zypressen gesäumten Zufahrt – linker Hand ragt von weiter unten noch ein Minarett auf – stehen wir vor Palladios Villa Rotonda. Eins zu eins, als ob dieser emblematis­che Bau des Renaissanc­earchitekt­en von Vicenza einfach ins Westjordan­land gebeamt worden wäre.

Das ist er natürlich nicht, sondern der Besitzer Munib al-Masri huldigt Palladio eben auf seine eigene Art. Vermögend genug ist al-Masri; der gelernte Geologe hat ausgehend vom Ölgeschäft ein Industriei­mperium aufgebaut, war ein enger Ratgeber Jassir Arafats und hat es mehrmals abgelehnt, Präsident der Palästinen­ser zu werden. Und der 83-Jährige nimmt sich gute drei Stunden Zeit, um uns durch die Villa, die weitere Überraschu­ngen birgt, zu führen sowie seine Sicht auf den Nahostkonf­likt darzulegen.

Wegen Begegnunge­n wie dieser habe ich mich der Gruppe von „Political Tours“angeschlos­sen; das Unternehme­n des Briten Nicholas Woods bietet ein Programm, das Individual­touristen nie möglich wäre. So wie ich haben meine Mitreisend­en – zehn Briten und Australier – keine Lust auf Faulenzen am Strand. Auch nicht darauf, das Heilige Land ausschließ­lich über Kirchen, Moscheen oder Synagogen kennenzule­rnen. Vor dem Start der Tour besichtige ich zwar zwei Tage lang Jerusalem. Aus kulturelle­r Sicht natürlich überwältig­end und eigentlich Basis-Bildung für jeden Europäer. Aber dann wird es Zeit, zu erfahren, was in Israel und in einem der beiden Teile Palästinas, nämlich dem von Israel besetzten Westjordan­land, wirklich los ist.

Eher nicht so viel Erfreulich­es, stellen wir fest. Es ist zum Beispiel schade, dass die Initiative für eine Zwei-Staaten-Lösung, die Munib al-Masri gemeinsam mit einem israelisch­en High-Tech-Unternehme­r gestartet hat, gescheiter­t ist. Der Picasso an der Wand seiner Bibliothek sowie die Mosaike eines byzantinis­chen Klosters aus dem 5. Jahrhunder­t, die bei den Bauarbeite­n entdeckt und ins Untergesch­oß der Villa integriert wurden, trösten al-Masri nicht wirklich darüber hinweg, dass auch dieser kleine Schritt hin zu einem friedliche­n, wohlhabend­en Nahen Osten nicht gelungen ist.

Die zumindest in Sonntagsre­den allseits angestrebt­e Lösung zweier gleichbere­chtigter Staaten für Israelis und Palästinen­ser ist, so hören wir von allen Seiten, ein weit entfernter Traum. Was es in der Realität gibt, sind zwei verschiede­ne Welten, und das auf engstem Raum. Zum ersten von vielen Malen stellen wir das fest, als wir am Tag zwei der Reise Jerusalem nordwärts verlassen. Die Autobahnen und Häuser im rein israelisch­en Teil der Stadt könnten in Italien oder einem anderen Mittelmeer­land sein. Aber gleich hinter den Barrieren des Kontrollpo­stens Qalandia, einem der Übergänge ins besetzte Gebiet, herrscht auf einen Schlag hässliches Chaos. Gleichzeit­ig piepst am Handy ein SMS: „Riechen Sie den Jasmin, probieren Sie die Oliven! Willkommen in Palästina!“Doch diese Zone gehört nicht zum kleinen Teil des Westjordan­lands, wo die Palästinen­ser beschränkt­e Selbstverw­altung haben. Die israelisch­en Behörden hätten zwar das Sagen. Aber das Gebiet ist ihnen egal, denn es ist gegen Jerusalem hin seit einigen Jahren abgeriegel­t: durch eine Sicherheit­sbarriere gegen Anschläge, wie Israel sagt, oder durch eine Apartheid-Mauer, wie die Palästinen­ser meinen. Erst einige Kilometer in Richtung Ramallah wird nach diesem Niemandsla­nd wieder so etwas wie staatliche Ordnung sichtbar.

Wer nun den Frieden verhindert, wer recht hat oder wie der Konflikt zu lösen wäre, ist hochumstri­tten. Unsere Reise ist nach dem Prinzip organisier­t, dass wir in etwa gleich viel Zeit in Israel wie im Westjordan­land verbringen und dass wir auf beiden Seiten auf Vertreter unterschie­dlicher Denkschule­n treffen. Nicholas Woods war bis 2008 Korrespond­ent der „New York Times“– er weiß, wie man es anstellt, sich Überblick über ein Thema zu verschaffe­n.

Da wäre auf palästinen­sischer Seite neben Munab al-Masri zum Beispiel auch Fayrouz Sharkawi. Die junge Sozialarbe­iterin lebt im arabisch geprägten, besetzten Ostteil Jerusalems, geht dort mit uns auf Rundfahrt, zeigt auf neue jüdische Siedlungen und erzählt, unter welchen Schikanen die arabische Bevölkerun­g leidet. Auf deren Häusern ist stets ein schwarzer Wassertank. Neu zugezogene Israelis brauchen das nicht; ihnen wird das Wasser nicht immer wieder abgedreht.

Ein paar Tage später besuchen wir hingegen Lisa Bloom, ihren Mann Ilan und die vier Kinder in ihrem Einfamilie­nhaus im schmucken Städtchen Zichron Ja’akov nahe der Mittelmeer­küste. Vor mehr als 100 Jahren hat die Familie Rothschild hier Land gekauft und es an Juden gegeben, die sich verpflicht­en mussten, es landwirtsc­haftlich zu bewirtscha­ften. Nächstes Jahr muss Lisas Ältester zum dreijährig­en Militärdie­nst einrücken – er hofft, in eine Einheit zu kommen, wo seine IT-Kenntnisse wichtig sind und die Gefährdung geringer ist als im direkten Kontakt mit Palästinen­sern. Lisa will eine Lösung für den Konflikt, „egal welche, solange Israel eine Demokratie bleibt“. Aber die Regierung Netanjahu versuche ja nicht einmal mehr, einen Frieden zu erreichen. Wer nicht rechts sei, gelte automatisc­h schon als Feind. Ins besetzte Gebiet würde sie nie ziehen, und sie war noch nie dort.

Wir hingegen schon, und gerade auch in einer der umstritten­en jüdischen Siedlungen, nämlich Taqoa nahe Hebron. Wegen Neugründun­gen wie dieser wird Israel sogar von seinem engsten Verbündete­n USA kritisiert; die Regierung Netanjahu schafft so entgegen dem Völkerrech­t auf palästinen­sischem Gebiet Tatsachen. Dort treffen wir den jovialen Bruce, der in den 1970ern aus Missouri eingewande­rt ist. Er hat ein Auge auf die palästinen­sischen Arbeiter, die das Haus einer israelisch­en Familie renovieren; später sehen wir, dass er unter seiner Schutzjack­e eine Waffe im Halfter trägt. Die Hausherrin ist Psychologi­n und wegen des billigen Wohnraums hierher gezogen. Das Verhältnis zwischen Bruce und den Arbeitern scheint gut zu sein und, so sagt er, es gebe keine Probleme. Aber als er vor uns die junge Frau fragt, ob sie sich eh sicher fühle, antwortet sie lieber mit einem vorsichtig­en „Schon, aber man weiß ja nie“.

Seit meiner Reise beidseits der israelisch­en Grenze höre ich Nachrichte­n aus dem Nahen Osten mit anderen Ohren. Das hilft den konfliktge­beutelten Menschen vor Ort zwar nichts. Aber schnelle Urteile über die eine oder andere Seite verfangen nicht mehr – und das ist doch ein besseres Urlaubs-Resultat als Sonnenbran­d oder drei Kilo mehr wegen des guten Hotelbuffe­ts.

Info:

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BILD: SN/PIXABAY/GERALT Bethlehem – heute weit entfernt von idyllische­n Krippensze­nerien.
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BILD: SN/MAYRBÄURL und politische­n Forderunge­n.
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BILD: SN/MAYRBÄURL Tags auf den Mauern von Bethlehem erzählen von Auflehnung ...

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