Was wurde eigentlich aus der SPÖ?
Auch wenn den Sozialdemokraten der Abschied von der Macht schwerfällt: Österreich kann eine starke, professionelle Oppositionspartei sehr gut gebrauchen.
Sebastian Kurz hier, Harald Mahrer dort, dazwischen ein wenig Strache und Kickl und eine Prise Van der Bellen. Und natürlich: Peter Pilz. Wer die mediale Berichterstattung der vergangenen Tage verfolgte, dem drängt sich die Frage auf: Was wurde eigentlich aus der SPÖ? Und aus ihrem Vorsitzenden Christian Kern, der immerhin Bundeskanzler dieser Republik ist? Man hat lang nichts mehr von ihnen gehört. Die aktuellsten Bilder des Noch-Kanzlers in der APA-Datenbank datieren vom Nationalfeiertag. Seither ist Sendepause. Wo sind sie hin, die SPÖ und der Kanzler?
Was Christian Kern betrifft, ist die Antwort einfach: Er nahm einige Tage Auszeit, worauf er nach dem kräftezehrenden Wahlkampf jedes Recht der Welt hat, und wird sich in dieser Woche von den SPÖ-Parlamentariern zum Fraktionsvorsitzenden (in Österreich auch „Klubobmann“genannt) wählen lassen. Was darauf hindeutet, dass der scheidende Kanzler seine Ankündigung, die SPÖ in der Opposition anführen zu wollen, tatsächlich wahr machen wird. Zumindest bis auf Weiteres.
Womit auch die Frage beantwortet werden kann, was eigentlich aus der SPÖ wurde. Beziehungsweise: was aus ihr, wenn sie es strategisch richtig anlegt, werden wird: eine sehr starke, sehr effiziente Oppositionspartei, die die türkis-blaue Regierung vor sich hertreiben und die türkis-blaue Regierungsmannschaft nach Kräften kontrollieren kann – zum Nutzen des Landes. Denn anders als die bisherige große Oppositionspartei FPÖ verfügt die SPÖ mit Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund über hervorragend ausgestattete Vorfeldinstitutionen, die sie in ihrer Oppositionstätigkeit unterstützen werden. Anders als die FPÖ verfügt die SPÖ in der Hochbürokratie und der staatsnahen Wirtschaft über genügend Vertrauensleute, die dafür sorgen werden, dass die türkisblauen Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Es ist der SPÖ zu raten (und dem Land zu wünschen), dass die Sozialdemokraten ihre Oppositionsrolle aktiv und klug anlegen – im Sinne des demokratischen Kräfteausgleichs, und im Sinne der Begrenzung der Regierungsmacht. Dann müssen sich auch jene nicht mehr fürchten, die in diesen Tagen auf Twitter und sonstigen Kanälen der doch wohl ein wenig übertriebenen Sorge Ausdruck verleihen, die neue Regierung werde Österreich im Handumdrehen in ein halbfaschistisches Unrechtregime verwandeln. Diese Aufgabe ist umso wichtiger, als sich zwei andere potenzielle Oppositionskräfte – die Grünen und Peter Pilz – selbst aus dem Spiel genommen haben. Und damit der Regierung, noch ehe sie angelobt wurde, einen unschätzbaren Dienst erwiesen.
Überdies darf daran erinnert werden, dass die letzte, von 2000 bis 2007 währende Oppositionsphase der SPÖ keineswegs geschadet hat. Sie konnte in diesen Jahren zwei LH-Sessel erringen, nämlich in der Steiermark und in Salzburg, sie gewann die Bundespräsidentschaftswahl 2004 und sie gewann die Nationalratswahlen im Herbst 2006. Woraufhin sie für mehr als ein Jahrzehnt den Kanzler stellte. Es scheint für eine Partei also möglich zu sein, sich in der Opposition rundzuerneuern und für höhere Aufgaben zu rüsten.
Freilich muss sich die SPÖ zu diesem Zweck ein wenig mehr einfallen lassen als das, was zuletzt aus den Twitter-Accounts diverser roter Spindoktoren und -magister troff. Die Empörung beispielsweise, die dortamts über die geplante Übersiedlung des Umweltbundesamtes von Wien nach Klosterneuburg geäußert wurde, wäre einer ernsteren Sache würdig gewesen. Doch als Beleg dafür, dass die neue Regierung das rote Wien systematisch zu ruinieren gedenke, ist der Anlass wohl ein wenig zu unbedeutend. Auch der über die sogenannten sozialen Netzwerke verbreitete SPÖ-Spin, dass ÖVP und FPÖ in ihrer räuberischen Perfidie das Urlaubs- und Weihnachtsgeld abzuschaffen gedenken, kann nicht der Oppositionspolitik letzter Schluss sein: Auch die greulichste Greuelpropaganda sollte zumindest ein Mindestmaß an Plausibilität enthalten, um einigermaßen abschreckend zu wirken. Doch das ist hier nicht der Fall, die künftige Regierung wird uns weder den 13. und 14. Gehalt streichen noch die Kinderarbeit wieder einführen.
Dass es die SPÖ auch anders kann, stellte Klubchef Andreas Schieder dieser Tage unter Beweis. In einem Gastkommentar für die „Presse“listete er die Vorhaben auf, die aus sozialdemokratischer Sicht noch zu erledigen sind: den Ausgleich der sozialen Ungleichheit; die Schaffung eines sozialen Europas; die Aufrechterhaltung der Sozialstandards im Zeitalter der Digitalisierung; die sozial verträgliche Bekämpfung des Klimawandels; und die Stärkung der Demokratie.
In der Tat: Das sind Aufgaben, für die es sich für eine Sozialdemokratische Partei zu kämpfen lohnt. Keine Rede davon, dass sich diese Partei und das, wofür sie steht, überlebt haben.