Der Fall eines Seiltänzers
Sein Vater starb bei einem Bombenanschlag. Der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri fürchtet das gleiche Schicksal – und tritt zurück. Dahinter steckt das Ringen um Einfluss zwischen Saudi-Arabien und dem Iran.
Der Rücktritt von Libanons Premier überrumpelte eine ganze Region. Der dramatische Schritt gehört zur neuen, gefährlichen Außenpolitik Saudi-Arabiens, und könnte in Nahost eine neue Gewaltwelle auslösen.
Noch vor zwei Wochen schien für Libanons Premier Saad al Hariri die Welt in Ordnung zu sein. Nachdem es ihm gelungen war, erstmals seit 2005 ein Staatsbudget zu verabschieden, twitterte er wohlgemut über die „große Errungenschaft für den Libanon, für ein neues Zeitalter und für die Regierung“, die sich „zu anderen Erfolgen, die wir in den letzten Monaten errangen“, geselle. Überhaupt schien dem jungen Regierungschef das Unmögliche zu gelingen: Im tief gespaltenen Land der Zedern, in dem ein Teil der Bevölkerung zu Syriens Opposition hält, während die vom Iran gestützte Hisbollahmiliz auf Seiten von Syriens Präsident Baschar al-Assad kämpft, herrschte unter Hariri relative Ruhe. Um die zu garantieren und die Interessen der zwei bitteren regionalen Erzfeinde Saudi-Arabien und Iran auszutarieren, bildete er Ende 2016 sogar eine Regierung mit der Schiitenmiliz Hisbollah – ein enormes persönliches Opfer für den jungen Sunniten, soll die Organisation doch für den Mord an seinem Vater und Vorgänger Rafik Hariri im Jahr 2005 verantwortlich gewesen sein.
Doch nun endet Hariris Balanceakt abrupt: Von Saudi-Arabiens Hauptstadt aus verkündete er am Wochenende in einer dramatischen Rede, die die eigenen Berater überraschte, seinen Rücktritt und ging mit dem Iran und der Hisbollah hart ins Gericht. Wo immer der Iran sich niederlasse, verbreite er „Zwietracht, Verheerung und Zerstörung, wie seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten arabischer Staaten“demonstriere. Doch die „Hand der Iraner in dieser Region wird abgehackt werden“, warnte er. Der Libanon stürzt nun erneut in politische Ungewissheit. Dem Land droht jahrelange politische Lähmung. Und da der Zwist im Libanon nur Spiegelbild des Machtkampfes zwischen Teheran und Riad ist, drohen schwere Konsequenzen für die gesamte Region. Ein Krieg zwischen Israel und der Hisbollah ist wieder wahrscheinlicher geworden. Noch größer ist die Gefahr einer Eskalation der vielen blutigen Stellvertreterkriege Saudi-Arabiens und des Irans – im Libanon, im Irak, in Syrien und im Jemen. Einen Vorgeschmack bot eine Mittelstreckenrakete, die Huthi-Rebellen in der Nacht auf Sonntag vom Jemen aus auf Riads internationalen Flughafen abfeuerten. Beobachter werteten sie als Warnschuss der Iraner nach Hariris Rede.
Warum zog Hariri ausgerechnet jetzt die Notbremse? In seiner Rede deutete er an, er fürchte um sein Leben. Die Atmosphäre im Libanon erinnere ihn an die Tage vor der Ermordung seines Vaters, der von einer Autobombe der Hisbollah im Auftrag Syriens 2005 in Beirut ermordet wurde. „Ich habe gefühlt, was heimlich ausgeheckt wird, um auf mein Leben zu zielen“, sagte Hariri. Saudische Medien berichteten von einem gescheiterten Anschlag. Mysteriöse Kommunikationsstörungen seien unlängst in Hariris Fahrzeugkolonne in Beirut aufgetreten. Offizielle Quellen im Libanon dementierten das.
Eigentlich müssten der Iran und die Hisbollah Interesse haben, Hariri am Leben zu halten. Dank seiner Bereitschaft, als politisches Feigenblatt zu dienen, konnte sie zuletzt große Erfolge verbuchen und Schlappen vermeiden. Das Land der Zedern blieb von neuen Sanktionen verschont, die die USA unlängst gegen die Hisbollah verhängten. Eine Nachfolge-Regierung, in der die Hisbollah eine noch größere Rolle spielt, dürfte solchen Sanktionen indes nicht mehr entgehen. Statt wirtschaftlichem Aufschwung droht dem Land der Bankrott. Hariris Rücktritt soll deshalb wohl die Hisbollah in die Enge treiben, nachdem sie in Syriens Bürgerkrieg siegreich war und Hariri im Libanon zu immer größeren Zugeständnissen gezwungen hat. So soll der Iran im Libanon für die Hisbollah mehrere unterirdische Waffenfabriken errichten – vor den Augen libanesischer Behörden. Die waren vor wenigen Wochen dazu genötigt, der Hisbollah – die Hariri als „Staat im Staat“bezeichnete – bei der Eroberung mehrerer Enklaven des IS zu helfen, die bislang in sunnitischer Hand waren. Und vor wenigen Tagen errang die Hisbollah einen wichtigen diplomatischen Sieg für ihren Patron Iran. Sie zwang Hariri, mit Saad Sakija erstmals einen libanesischen Botschafter nach Damaskus zu entsenden. Beirut wurde so zu einer der wenigen arabischen Hauptstädte, die Assads Regime anerkennen.
In Riad war der Unmut darüber enorm. Schon lang wächst hier die Kritik an Hariri, weil er nicht als Bollwerk gegen, sondern als Wegbereiter der Iraner fungiere. Die Iraner bestärkten diesen Eindruck. Im Oktober prahlte Irans Präsident Hassan Rohani: „Der Iran ist in der Region mächtiger als je zuvor. Im Irak, in Syrien, im Libanon, in Nordafrika und am Persischen Golf kann niemand mehr ohne den Iran agieren.“Anfang vergangener Woche zitierte Saudi-Arabiens Kronprinz und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman (MbS) Hariri zu sich zur Lagebesprechung. Dennoch spielte Hariri am Donnerstag in Beirut wieder Gastgeber für Ali Akbar Velayati, einen engen Berater des iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei. Der stellte nach dem Treffen fest, der libanesische Sieg über den IS sei eigentlich ein „Sieg des Widerstands“gewesen – also der Hisbollah. Das scheint die Geduld von MbS überstrapaziert zu haben. Wenige Stunden später reiste Hariri erneut nach Riad. Die meisten in der Region sind überzeugt, dass er dort vom saudischen Kronprinzen dazu gezwungen wurde, seinen Rücktritt zu erklären. Das würde ins Verhaltensmuster von MbS passen.
Der 32-jährige Kronprinz gilt als Urheber einer neuen, impulsiven saudischen Außenpolitik. Im Inland kämpft er für die „Vision 2030“, die erstmals Steuern einführen, die Ölfirma Aramco privatisieren und die private Marktwirtschaft erweitern will – zum Unmut vieler konservativer Kräfte. Als Verteidigungsminister trieb er sein Land in den Bürgerkrieg im Nachbarland Jemen. Zugleich tritt er für mehr Engagement in Syriens Bürgerkrieg ein. Er gilt als Initiator der bislang ergebnislosen Krise mit Qatar, dem er vorwirft, zu eng an den Iran gebunden zu sein. Dialog mit Teheran lehnt er kategorisch ab. All das mit dem Ergebnis, dass Saudi-Arabien 2016 ein gewaltiges Haushaltsdefizit erwirtschaftete. Im konservativen Königreich hat er deshalb viele Feinde – wohl auch innerhalb der eigenen Familie.
Vater König Salman schuf nun ein neues politisches Instrument für MbS, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken: ein „Anti-Korruptions-Komitee“, dem ausgerechnet MbS vorsteht, der für seinen extravaganten Lebenswandel bekannt ist. So kaufte er laut Berichten einmal spontan die Yacht „Serene“vom russischen Vodka-Magnaten Juri Scheffler – für 500 Millionen Euro. MbS setzte das neue Gremium kurz nach Hariris Rücktritt erstmals ein. Am Sonntag erfuhr Riad, dass elf Prinzen und zig ehemalige und amtierende Minister wegen Korruptionsverdacht verhaftet wurden. Unter ihnen befinden sich auch bekannte Investoren wie der Milliardär Prinz Alwalid al Talal. Der Rücktritt Hariris und Alwalids Verhaftung zeigen, dass MbS entschlossen ist, in den eigenen Reihen Gehorsam zu erzwingen und den Iran zu konfrontieren. Der Krieg im Jemen könnte so nur eine von vielen Krisen werden, in die MbS sein Land und die gesamte Region steuert.
„Ich fühlte, was heimlich ausgeheckt wird, um auf mein Leben zu zielen.“Saad Hariri, Libanons Ex-Premier