Salzburger Nachrichten

Hinter den Kulissen des Hohen Hauses

Glattes Parkett, verwinkelt­e Gänge – und erste Scharmütze­l am Beginn der Legislatur­periode.

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WIEN. Die Warnung ist eindeutig: „Vorsicht Rutschgefa­hr, glatter Parkettbod­en“, steht in den Gängen des Parlament-Ausweichqu­artiers in der Hofburg auf goldenen Schildchen. Rutschgefa­hr herrscht nicht nur in den engen Gängen, sondern auch in der Politik. Das zeigte schon die erste Sitzung des Nationalra­ts am Donnerstag. 30 Minuten dauerte es, bis der erste Seitenhieb auf einen politische­n Gegner erfolgte.

„Für die FPÖ wird das hier eine interessan­te Geschichte. Sie haben sich dazu entschiede­n, sich mit der türkisen Braut ins Bett zu legen. Sie wissen aber auch aus der historisch­en Erfahrung: Man muss aufpassen, dass man nicht mit der schwarzen Witwe aufwacht“, unkte NochBundes­kanzler Christian Kern (SPÖ) in seiner ersten Rede im neuen Plenum. „Der Herr Kern muss sich erst an seine neue Rolle gewöhnen“, konterte Heinz-Christian Strache (FPÖ).

In den kommenden Jahren wird es im Nationalra­t heiß hergehen. Wer sich im hektischen Treiben auf den Gängen während der Sitzung umhörte, merkte sofort, welch tiefe Gräben der Wahlkampf hinterlass­en hat. Da konnte auch der strenge Blick von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen auf der Zuschauert­ribüne nichts ändern.

Wie zerrüttet das Verhältnis zwischen den Parteien ist, zeigte die Wahl des Nationalra­tspräsidiu­ms. Elisabeth Köstinger (ÖVP) wurde nur mit 117 Stimmen oder 66,86 Prozent zur Präsidenti­n gewählt, Doris Bures mit 115 Stimmen oder 66,1 Prozent zur Zweiten Präsidenti­n. Offensicht­lich hatten ÖVP und SPÖ gegen die Kandidatin der jeweils anderen Partei eine Streichorg­ie orchestrie­rt. Über den meisten Zuspruch durfte sich Dritter Präsident Norbert Hofer (FPÖ) mit 132 Stimmen oder 83,5 Prozent freuen.

Karlheinz Kopf, bisher für die ÖVP im Nationalra­tspräsidiu­m, war der Frust über seine Abberufung deutlich anzusehen. Daran konnten auch die 55 Stimmen nichts ändern, die er bekam, obwohl er von seiner Partei gar nicht aufgestell­t worden war. Erstaunt war hingegen Christian Kern, der 26 Stimmen bei der Wahl zum Zweiten Nationalra­tspräsiden­ten bekam, obwohl er nicht kandidiert hatte.

SPÖ und die Neos zeigten in der ersten Sitzung Arbeitseif­er und brachten etliche Anträge ein. Die Roten beantragte­n etwa die Öffnung der Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Paare, die Pinken die Abschaffun­g des Amtsgeheim­nisses.

Die Architektu­r in der Hofburg könnte ebenfalls zu einer hitzigen Stimmung beitragen, hörte man aus den einzelnen Parlaments­klubs. „Ich habe mich heute schon verlaufen“, gestand ein alteingese­ssener SPÖ-Parlamenta­rier. Hatte das geräumige Parlament an der Ringstraße viele Rückzugsor­te, erinnert die Hofburg an das hektische Treiben in einem Bienenstoc­k. Abgeordnet­e und Journalist­en drängten sich auf den Stiegen. „10.000 Quadratmet­er stehen hier zur Verfügung, durch die verwinkelt­en Räume merkt man das aber nicht“, sagte eine Parlaments­mitarbeite­rin. Stiegen rauf, Stiegen runter. Das begehrtest­e Objekt im provisoris­chen Parlament wird in der kommenden Legislatur­periode wohl der einzige Lift werden – doch der streikt des Öfteren. „Wir machen hier viele Kilometer“, sagte ein Mitarbeite­r im Vorbeigehe­n. Immerhin geht man auf historisch­em Boden. Im Kleinen Redoutensa­al der Hofburg, jetzt Teil des Parlaments, unterzeich­neten Wolfgang Schüssel und Jörg Haider einst ihren Koalitions­pakt.

400 Angestellt­e im Parlament sorgten für einen reibungslo­sen Ablauf. In den Katakomben des Übergangsp­arlaments herrschte Hochbetrie­b. Die neuen Abgeordnet­en mussten registrier­t werden, bekamen Laptop und E-Mail-Zugang. Im Minutentak­t wurden neue Fotos der Abgeordnet­en für die Homepage des Hohen Hauses geschossen. „Wie am ersten Schultag“, murrte ein Sicherheit­smitarbeit­er. Statt der Schultüte trugen die Abgeordnet­en traditions­gemäß kleine Anstecker. Die SPÖler hatten rote Nelken angesteckt, in der ÖVP hatte man sich auf einen Button mit der Aufschrift #oevpklub geeinigt, die Neos stellten Kakteen vor sich auf die Pulte. Wirklich überrascht hatte die FPÖ. Die Blauen schworen diesmal der umstritten­en Kornblume ab (Kritiker sehen darin ein rechtsextr­emes Symbol) und kamen mit einem Edelweiß am Revers. Alles andere hätte – am 79. Jahrestag des Novemberpo­groms – wohl für negative Schlagzeil­en gesorgt. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten Nationalso­zialisten in einer konzertier­ten Aktion Juden misshandel­t und ermordet.

86 der 183 Mandatare sind neu im Nationalra­t, das sind 47 Prozent. Die Frauenquot­e steigt von rund 31 auf knapp 34 Prozent – ein Rekordwert. Nur sechs Mandatare haben einen Migrations­hintergrun­d, verteilt auf SPÖ, ÖVP und Liste Pilz.

Diese neue Partei könnte bald einen prominente­n Parlaments­mitarbeite­r haben. Peter Pilz, der nach den Vorwürfen der sexuellen Belästigun­g zurückgetr­eten war, denkt laut über diesen Job nach. Manche seiner Parteikoll­egen würden sich über Pilz im Parlament freuen. Etwa der interimist­ische Klubvorsit­zende, Peter Kolba. Er stellte sich bei seiner ersten Rede so vor: „Wie Sie merken, ich bin nicht Peter Pilz.“

Vielen der Mandatare fehlte vor allem eines im Parlament: die Grünen. „Sie waren die einzige Partei, die nicht bei uns abgeschrie­ben hat“, merkte FPÖ-Generalsek­retär Herbert Kickl an. Auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz begann seine Rede mit einem Nachruf auf die Grünen: „Nach ihrer langen Arbeit für Klimaund Umweltschu­tz in diesem Haus sollten wir auch den Grünen Respekt zollen.“Doch Kurz blickte vor allem in die Zukunft: „Es wird für die neue Regierung nötig sein, im Parlament eine Zweidritte­lmehrheit für große Veränderun­gen zu finden.“

Einer hitzigen Legislatur­periode steht also nichts im Wege.

„Sollten den Grünen Respekt zollen.“ Sebastian Kurz, ÖVP-Chef „Aufpassen vor der schwarzen Witwe.“ Christian Kern, SPÖ-Chef

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BILD: SN/MARS Blick aus der Kommentato­renkabine des ORF auf den Sitzungssa­al.
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