Salzburger Nachrichten

Ein Smiley für die Toilette an der Autobahn

Über die neue Sucht, alles immer gleich bewerten zu müssen.

- WWW.SN.AT/FLIEHER Bernhard Flieher

Knapp zwei Drittel jener Menschen, die in Online-Shops einkaufen, nutzen die Bewertung anderer, um sich wegen solcher Bewertung für ein Produkt zu entscheide­n. Wo die meisten Smileys und Sternchen stehen, steigt also die Chance, dass jemand zuschlägt und flott auf „Kaufen“drückt. So entstehen Bestseller bei Amazon und Hitparaden­stürmer. So gibt es auf Grund superlativ­ischer Bewertunge­n monatelang keinen Platz mehr in Restaurant­s. So wird Masse gemacht. Das Glücksrad aus Bewertung und Kaufen dreht sich immer schneller. Aber es hat auch sein Gutes, denn auf diese Weise bleibt zum Beispiel das Klo auf der Autobahnra­ststätte immer schön sauber.

Dort fiel mir kürzlich auf, wie dramatisch ich von der aktuellen Bewertungs­sucht umgeben bin. Da steht am Ausgang ein Kastl. Darauf ein grüner, ein gelber und ein roter Knopf mit Smiley-Gesichtern darauf. Darüber steht die Frage: „Wie waren Sie mit Ihrem Toilettenb­esuch zufrieden?“Ich bin mir sicher, dass diese Frage weit weniger wörtlich gemeint war, als sie mir beim Lesen vorkam. So bewertete ich dann auch die Sauberkeit und nicht meinen Stuhlgang. Bei einem Kaffee in der Raststätte checkte ich danach Mails. Da wurde mir klar, dass ich umzingelt bin von Bewertungs­sucht. Zwei Reiseporta­le wollten wissen, wie ich die Hotels fand. Dabei hatte ich die Hotels gar nicht gebucht, sondern mich nur über sie informiert. Man wollte wissen, was ich von der bestellten Radhose halte. Die war aber noch gar nicht bei mir angekommen.

Als ich nun auch noch davon lese, dass sich so viele Menschen von den Bewertunge­n anderer beeinfluss­en lassen, fühle ich mich schlecht. Einerseits liegt das daran, dass ich beim Bewerten selten schlechte Urteile abgebe – wenn überhaupt. Ich finde, es muss als Statement doch reichen, etwas gekauft zu haben. Warum sollte ich etwas kaufen, das ich nicht gut finde? Aber nicht nur bei meinen Käufen bin ich freundlich in der Bewertung.

Das Tonband einer Hotline befragte mich kürzlich, wie ich die Freundlich­keit der Dame einschätze, mit der ich gerade gesprochen hatte. Nun, die Dame war nicht ganz superfreun­d- lich, ein bisserl grantig sogar. Wie aber käme ich dazu, davon einer Maschine zu erzählen, die daraus eine Statistik bastelt? Vielleicht hatte die Dame bloß einen schlechten Moment. So etwas kennt doch jeder. Wenn ich ihr nun aber ein „unfreundli­ch“gebe und sie dann zum Chef muss und der sie rausschmei­ßt? Dafür will ich keinesfall­s verantwort­lich ein. Da nehme ich lieber ein bisserl Grant in Kauf. Und mir geht es auch besser, weil ich anonyme, statistisc­he Bewertung eines so von der Tagesform abhängigen Zustands wie Grant ohnehin für blöd halte. Darum drücke ich auch auf der Raststätte­ntoilette immer den grünen Button, auch wenn irgendwo ein Fuzerl Klopapier am Boden liegt. Putzen in der Raststätte, Dauerfreun­dlichkeit im Callcenter – das sind Jobs, die sicher nicht so lässig sind wie meiner und viele andere. Das sind Jobs, bei denen man eher unbedankt bleibt, dafür aber schnell kritisiert wird. Da tut ein Smiley ganz grundsätzl­ich gut, egal wie die Wirklichke­it aussieht.

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