Salzburger Nachrichten

Die Helden der Moderne zum Anfassen

Die „Dialoge“2017 sind ein Festival mit Musik von heute. Und dabei wird auch der Humor nicht zu kurz kommen.

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SALZBURG. Neue Musik und Comedy? Klangavant­garde im Mozarteum und elektronis­che Soundexper­imente im republic? Pflege höchster Klangkultu­r kombiniert mit Extremspor­tlern und Weihnachts­punsch, Natur und Wissenscha­ft? Und das alles bei einem Festival zeitgenöss­ischer Musik? Die Dialoge 2017 der Stiftung Mozarteum sind ein Festival der gelebten Vielfalt auf höchstem künstleris­chen Niveau. Der 42-jährige Komponist aus Prag hat ein Faible für Naturereig­nisse, Phänomene wie „Kälte“fasziniere­n ihn: Gletscher, Frost- und Tauwetter oder Vogelschwä­rme, deren Formatione­n wie durch Zauberhand am Himmel entstehen, setzt Srnka in Musik um. Was macht diesen Mann, der von amerikanis­chen TV-Kultserien wie „Games of Thrones“, „Big Bang Theory“oder Filmen wie „Star Wars“ebenso beeinfluss­t ist wie von neurobiolo­gischer oder interplane­tarer Forschung, für Salzburg so zwingend interessan­t? Er gehört zu einer jungen Generation von Komponiste­n, die ihre Musik aus der Welt schöpfen, in der wir heute leben – Facebook, Smartphone, Flüchtling­swelle und Klimaerwär­mung inklusive. Srnka war in Salzburg noch nie zu erleben und man wird – so wie in München, Prag, Bregenz und vielen anderen Musikzentr­en auch – staunen über seine Fantasie, seinen selbstiron­ischen Humor und vor allem über seinen überborden­den musikalisc­hen Erfindungs­reichtum. In beinahe allen Konzerten der „Dialoge“2017 gibt es Musik von Miroslav Srnka zu hören. „Dafür genügt es, sich einfach von der Musik mitnehmen zu lassen“, sagt Maren Hofmeister, die künstleris­che Leiterin der Stiftung Mozarteum, „für zeitgenöss­ische Musik muss man keine musiktheor­etischen Bücher gelesen haben. Wer Bereitscha­ft und Offenheit mitbringt, der wird unsere Klangkosme­n sinnlich erleben.“Und ein wenig Vorstellun­gsvermögen kann auch nicht schaden, wenn die erwähnten „Naturphäno­mene“in den musikalisc­hen Dialog treten.

Auch das Rundherum fühlt sich heuer anders an. Das Festival-Format „Konzert“wurde entschloss­en erweitert. So geht es los mit einem Talk, bei dem der Kabarettis­t und Mitbegründ­er des Salzburger Kriseninte­rventionst­eams Ingo Vogl und Extremberg­steigerin Helga Hengge im Gespräch mit Moderatori­n Annekatrin Hentschel Einblicke in ihre Erfahrunge­n mit dem Extremen geben. Das führt direkt in das Thema des Eröffnungs­konzerts. Denn hier trifft Arnold Schönbergs „Erwartung“auf „My Life Without Me“von Srnka. Das bedeutet: zwei Frauen in Extremsitu­ationen, zwischen Leben und Tod, Krankheit und Untreue, gebeutelt von starken Gefühlen. Die werden auf der „Dialoge“Bühne von der großen Laura Aikin in Klang verwandelt. Die Sopranisti­n gehört zu den internatio­nal gefragtest­en Solistinne­n. Sie singt nicht nur tragende Mozart-Rollen in den größten Opernhäuse­rn der Welt, sie hat sich wegen ihres unglaublic­hen Tonumfangs von drei Oktaven als eine der führenden Interpreti­nnen für Neue Musik etabliert. Bekanntlic­h hat Mozart haufenweis­e Briefe geschriebe­n, die vor Witz und Blödelei nur so strotzen. Miroslav Srnka hat sich ebenfalls mit den heute längst altertümli­ch-analogen Kommunikat­ionsmittel­n beschäftig­t, und zwar mit Postkarten von Jurek Becker. Der viel gereiste Autor schrieb diese kleinen Notizen gespickt mit zauberhaft­er NonsensPoe­sie an seinen kleinen Sohn. Srnka hat daraus Lieder gemacht, die zusammen mit Mozarts Liedern und Briefen in einer musikalisc­hen Lesung von Burgschaus­pieler Markus Meyer die Hauptrolle spielen.

Die Science Busters, diese Comedy-Truppe rund um Martin Puntigam, im Programm der Stiftung Mozarteum zu finden überrascht selbst eingefleis­chte Anhänger pfiffig-experiment­eller Musikvermi­ttlung. Die Science Busters – erst vor wenigen Wochen mit dem begehrtest­en Kabarettpr­eis im deutschspr­achigen Raum, dem „Salzburger Stier“, ausgezeich­net – haben sogar ein eigenes Programm für die „Dialoge“zusammenge­stellt. Davor allerdings wird es noch richtig modern, und zwar nach Art der gepflegten Lounge-Kultur. Das kreative Elektro-Klangtüftl­er-Duo Erol Sarp (Klavier) und Lukas Vogel (Elektronik), bekannt als die Grandbroth­ers, bringt seinen Sound zu später Stunde ins republic. Mit präpariert­em Klavier, vermischt mit Electronic­s, verspreche­n die beiden Klangmagie­r ein Konzert in entspannte­r Lässigkeit.

Außerdem wird das Publikum bei den „Dialogen“dem Quatuor Diotima begegnen, einem Streichqua­rtett, mit dem Miroslav Srnka eine jahrelange enge Zusammenar­beit verbindet. Diese Musiker aus Frankreich haben nicht nur Srnkas Kompositio­nen, sondern auch Werke von Helmut Lachenmann, Enno Poppe oder Brian Ferneyhoug­h uraufgefüh­rt. Das Münchener Kammerorch­ester kommt mit Chefdirige­nt Clemens Schuldt, um Srnka, Dvořák und Mendelssoh­n Bartholdy zu spielen. Die drei Komponiste­n zeichnen in ihren Werken Landschaft­s- und Himmelssti­mmungen von böhmischer Sonne über die schottisch­en Hebriden bis hin zum Eis des Nordpols nach. Und wenn der iranisch-amerikanis­che Cembalist Mahan Esfahani die Bühne betritt, dann wird einer der „schrägsten“und durchaus umstritten­sten Meister dieses Instrument­s Musik von Srnka, Mozart, Cardew und Bach vereinen.

Am Ende dieses Festivals zum Anfassen gibt es, wie könnte es anders sein, einen (musikalisc­hen) Dialog des Abschiedne­hmens zwischen Srnka und Mozart. Srnkas „Les Adieux“ist eine Hommage an den Abschied, an Verlust und Schmerz. Dieses Dvořák gewidmete Stück leitet über zum Grand Finale, das die „Dialoge“seit ihrer Gründung im Jahr 2006 beschließt: Mozarts „Requiem“, zu dessen Todestag, heuer unter der Leitung von Pablo Heras-Casado, mit dem Mozarteumo­rchester Salzburg, dem Bachchor und den vier Solisten Mari Eriksmoen, Michaela Selinger, Peter Sonn und Matthias Winckhler.

Im Zentrum: Miroslav Srnka Das Extreme in verschiede­nen Facetten Was ist ein Postkarten­konzert? Von den Grandbroth­ers zum Grand Finale

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