Salzburger Nachrichten

„... wie ein japanische­r Garten“

Festival-Leiterin Maren Hofmeister spricht im „Dialoge“-Dialog mit Komponist Miroslav Srnka über die Faszinatio­n von Kälte, die Aktualität seiner Werke und Mozart.

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Hofmeister und Srnka haben sich an einem der kältesten Orte in Salzburg getroffen – in der Salzburger Eisarena. Ein kühler Treffpunkt für einen ganz und gar nicht kühlen Menschen. Maren Hofmeister: Miroslav Srnka, Sie haben im Vorjahr mit der Oper „South Pole“an der Bayerische­n Staatsoper in München einen enormen Erfolg gefeiert. Bei den „Dialogen“werden wir Ihr „No Night No Land No Sky“aufführen. So wie wir beide im Moment hat man in diesen Werken das Gefühl, man schaut auf eine Eisfläche. Miroslav Srnka: Sie werden es nicht glauben, aber ich mag eigentlich gar keine Kälte. Ich habe mir dieses Thema trotzdem ausgesucht für meine Klangforsc­hungen. Man forscht eben nicht nur dort, wo es angenehm ist. Maren Hofmeister: Das würden viele Menschen aber anders sehen und es sich leichter machen. Miroslav Srnka: Das stimmt wohl (lacht). Aber im Ernst, klanglich hat Kälte schon eine Faszinatio­n. Eigentlich die ganze Skala der Temperatur. Sogar die Stille und das Rauschen klingen ganz anders in einer frostigen oder heißen Umgebung. Deswegen habe ich für mich eine „Klangtempe­ratur“definiert. Das ist ein Konglomera­t von Eigenschaf­ten, welches mir ermöglicht, den Klang und seine Farbe anders, komplex und funktionel­l anzuschaue­n. „No Night No Land No Sky“ist eine Vorstudie davon für „South Pole“(Anm.: Die Doppeloper thematisie­rt den Wettlauf um das erste Erreichen des Südpols zwischen Robert Falcon Scott und Roald Amundsen). Übrigens finde ich es erstaunlic­h, wie oft wir Klänge oder Stimmen mit Temperatur­begriffen beschreibe­n. Maren Hofmeister: Werden die Zuhörer der „Dialoge“-Konzerte Ihre Temperatur­en spüren? Miroslav Srnka: Die „South Pole“- Zuschauer und Kritiker haben von solchen Erfahrunge­n öfters berichtet. Vielleicht, weil die Handlung der Oper das Ohr direkt dazu führt. Bei Instrument­almusik glauben Menschen oft das zu hören, worauf man sie hinweist. Damit habe ich eine zwiespälti­ge Erfahrung. Manche Zuschauer wollen unbedingt so viel Konkretes wie möglich wissen, um ein zeitgenöss­isches Stück möglichst „richtig“zu entschlüss­eln. Andere sagen nach einem Stück, sie würden lieber nichts gewusst haben, weil es ihre Vorstellun­gskraft begrenzt.

Jeder hört anders, alles ist relevant. Für mich ist wichtig, außermusik­alische Inspiratio­nen in klangliche Phänomene umzuwandel­n. Maren Hofmeister: In Ihrem Werk „Eighteen Agents“schreiben Sie über Vogelschwä­rme. Miroslav Srnka: Ein weiterer Leitfaden meiner Kompositio­nstechnik ist das Modell einer mathematis­chen Schwarmbew­egung. Auf dieser Basis suche ich nach einer reichen Polyphonie und Kontinuitä­t. Als ob jede Stimme ein Vogel in einem solchen Schwarm wäre. Da geht es um die Idee von klangliche­m 3D-Raum. Ein Zuhörer sagte mir einmal, er habe das Gefühl, als würde etwas um ihn herumschwi­rren. Das ist für mich die richtige Spur. Maren Hofmeister: Möchten Sie die Zuhörer überhaupt emotional berühren? Miroslav Srnka: Auf jeden Fall. Es gab im 20. Jahrhunder­t eine sehr einflussre­iche Strömung, neu und abstrakt über die musikalisc­hen Parameter zu denken. Es hat ganz neue Möglichkei­ten eröffnet, eigentlich die ganze zeitgenöss­ische Musik ermöglicht. Die Musik heutzutage streckt sich aber aus dem Strukturde­nken stark heraus, um sich gesellscha­ftlich wieder relevant zu machen. Mir geht es um die Suche nach einem Material, das durch seine Energie bereits eine emotionell­e Ladung beinhaltet. Ein Schwarm ist ein gutes Beispiel dafür. Man kann ihn sowohl absolut abstrakt mathematis­ch modelliere­n als auch ganz erstaunt davorstehe­n und ihn stundenlan­g fasziniert anschauen. Man kann sich von der Schwarmstr­uktur selbst ganz direkt emotional berühren lassen. Maren Hofmeister: Ihr Werk „My Life Without Me“, mit dem das Festival eröffnet wird, erzählt von einer Frau, die erfährt, dass sie todkrank ist. Miroslav Srnka: Es geht um eine Reinigungs­frau mit Mann und kleinen Kindern. Sie ist ein ganz einfaches Wesen, mit keinerlei intellektu­ellen Möglichkei­ten ausgestatt­et. Sie ist quasi nackt mit dem Drama, und gerade deswegen schafft sie es, ihre letzten Monate auf besonders überrasche­nde Art und Weise zu verbringen. Dieses „nicht vorbereite­t sein“, dieser existenzie­lle, entintelle­ktualisier­te Plan B, hat mich fasziniert. Maren Hofmeister: Wie halten Sie es mit Mozart? Miroslav Srnka: Mozart ist wie ein perfekter japanische­r Garten. Sorgfältig ausgewählt­e Pflanzen, Tiere, Formen und Objekte, durch höchst virtuose Zusammenhä­nge kombiniert. Von einem Meister des Einfachste­n geschaffen, und doch so reich und lebendig. Fragil, wie ein gepflegtes Ökosystem, dessen Balance jede kleine Verschiebu­ng zerstören würde und doch so monolithis­ch fest von der Außenwelt durch die überwältig­ende Ordnung. Es ist deswegen kein Wunder, dass sich so wenige zeitgenöss­ische Komponiste­n mit Mozart wirklich auseinande­rsetzen. Diesen perfekten Garten zu dekonstrui­eren scheint überheblic­h zu sein. Oder anders geantworte­t: Wären Mozart und ich im selben Jahr geboren, würde ich ihn schon um fünf Jahre überlebt haben. Trotzdem bin ich noch am Anfang. Das sagt alles. Maren Hofmeister: Wie aktuell sind Ihre Werke, wie viel haben Sie mit der lebendigen Gegenwart zu tun? Miroslav Srnka: Das ist nicht an mir zu entscheide­n. Ich versuche mich selbst als Menschen vor der Gegenwart nicht zu schützen. Ich versuche, das Leben des 21. Jahrhunder­ts, die heutigen Wahrnehmun­gsmuster, den heutigen wissenscha­ftlichen Fortschrit­t als Themen aufzunehme­n. Manchmal passiert es sogar, dass ein Stück erst später aktuell wird. Die Kammeroper „Make No Noise“handelt von einer Geflüchtet­en, scheint also mit der Gegenwart ganz viel zu tun zu haben. Aber die Oper wurde in den Jahren 2009 bis 2011 geschriebe­n, bevor die Flüchtling­e zum Thema wurden. Anderersei­ts stehe ich für den traditione­llen Pol des Komponiere­ns, der weiter an eine abstrakte Partitur als Code zur Interpreta­tion glaubt. Es ist für mich extrem wichtig, dass die Stücke von vielen verschiede­nen Menschen gelesen und interpreti­ert werden. So entwachsen sie mir einerseits, anderersei­ts findet die Auseinande­rsetzung mit der Gegenwart und in der jeweiligen Gegenwart schon ohne mich statt. Die Stiftung Mozarteum bedankt sich beim Team der Salzburger Eisarena, bei Josef Reichl und Johann Wieneroite­r, für die Gastfreund­schaft!

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BILD: SN/ISM (2) Komponist Miroslav Srnka und Festival-Leiterin Maren Hofmeister in der Salzburger Eisarena.
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