Salzburger Nachrichten

Gibt’s jetzt für alle mehr Lohn?

Ökonomen halten den Lohnabschl­uss für die Wirtschaft für verkraftba­r. Was die Einigung für die Sozialpart­nerschaft bedeutet, ist offen.

-

WIEN. „Gut Ding braucht Weile“– dieses Motto könnte über den diesjährig­en Lohnverhan­dlungen der Metalltech­nischen Industrie (MTI) stehen. Rekordverd­ächtige sechs Verhandlun­gsrunden und insgesamt 62 Stunden dauerte es, bis die Vertreter von Arbeitgebe­rn und –nehmern am Donnerstag­abend die Einigung auf einen neuen Kollektivv­ertrag (KV) bekannt gaben, der rückwirken­d per 1. November gilt. Löhne/Gehälter steigen um drei Prozent, bei Vergütunge­n und flexiblere­n Arbeitszei­ten kamen sich beide Seiten entgegen.

Zwei Gründe gibt es, warum das Schmieden eines KV für den größten Metaller-Fachverban­d so lang dauerte. Zum einen die Verschiebu­ng der Machtverhä­ltnisse durch die Wahlen, denn der Gang der SPÖ in die Opposition dürfte mehr Konfliktpo­tenzial zwischen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern bedeuten als in den Zeiten der großen Koalition. Zudem seien gerade in starken Jahren schärfere Verteilung­skämpfe zu beobachten als sonst, meint Thomas Leoni, Experte beim Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo. „In solchen Jahren gibt es mehr zu verteilen, der Spielraum ist größer“– und somit auch die Möglichkei­t für Streit.

Aus Sicht von Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), dürfte sich der diesmal stärkere Einfluss der Politik doppelt ausgewirkt haben. Einerseits „wollten beide klarstelle­n, dass sie Lösungskom­petenz haben“, zugleich liefere das Ende der großen Koali- tion einen guten Grund, sich jetzt klar zu positionie­ren in der neuen Rollenvert­eilung.

Im neuen KV steigen Löhne und Gehälter für die Beschäftig­ten im größten Metaller-Fachverban­d MTI um drei Prozent (brutto), ebenso die Lehrlingse­ntschädigu­ng. Aufwand wird um 1,9 Prozent höher abgegolten, Reisekoste­nvergütung­en werden schrittwei­se auf Inlandsniv­eau angehoben. Für Karenzen gibt es längere Anrechnung­szeiten. Im Gegenzug stimmten die Arbeitnehm­er einer Verlängeru­ng des Zeitkontos für flexible Arbeitszei­ten zu, ebenso einer Erleichter­ung der Sonntagsar­beit vier Mal jährlich – eine Betriebsve­reinbarung und Freiwillig­keit vorausgese­tzt.

Aber kann die Wirtschaft, die nach jahrelange­r Flaute gerade wieder Fahrt aufnimmt, eine solche Erhöhung verkraften? Ja – „wenn das Wachstum so hoch ist wie angenommen“, sagt Martin Kocher. Das IHS sieht das Bruttoinla­ndsprodukt heuer um 2,6 Prozent und 2018 um 2,1 Prozent wachsen. Thomas Leoni stimmt zu: „Herausford­ernd, aber durchaus vertretbar.“Schließlic­h hätten Unternehme­n eine gute Auftragsla­ge. Das Wifo sieht die heimische Wirtschaft heuer und 2018 um je 2,8 Prozent wachsen. Der Metaller-Abschluss gilt als Richtschnu­r für alle anderen Kollektivv­erträge. Das heißt aber nicht, dass sich jetzt auch die Mitarbeite­r im Handel oder im Friseurgew­erbe ebenfalls automatisc­h auf drei Prozent Lohnplus einstellen können. Sehr wohl könnte das aber für die übrigen vier Metaller-Fachverbän­de und die Berufsgrup­pe Gießerei gelten. Bis 2012 gab es einen gemeinsame­n KV für die 180.000 Mitarbeite­r der Metallindu­strie, seither wird separat verhandelt, wobei dem Fachverban­d MTI mit 130.000 Beschäftig­ten das größte Gewicht zukommt.

Entscheide­nd seien Produktivi­tät und Erwartunge­n im jeweiligen Bereich. Der Metaller-Abschluss gibt da einen oberen Richtwert vor. Dank Automatisi­erung ist die Produktivi­tät hier besonders hoch, ebenso der Exportante­il von 80 Prozent in der MTI. Zudem haben die Metaller wegen ihrer Bedeutung und einer starken Vertretung durch die Produktion­sgewerksch­aft PROGE und die GPA-djp (Privatange­stellte) besondere Durchschla­gskraft. Dem ist auch zu verdanken, dass die Streikdroh­ung offenbar Wirkung zeigte. Laut Gewerkscha­ften war die Kampfberei­tschaft tatsächlic­h sehr hoch. „Die Teilnahme an den Betriebsve­rsammlunge­n war höher als im Jahr 2011, als es zuletzt Warnstreik­s gab.“Ein Streiktag würde 20 Millionen Euro Wertschöpf­ung kosten, der Gewinnausf­all würde ein Drittel ausmachen.

Positiv bewertet Kocher die Fortschrit­te beim ewigen Zankapfel flexiblere Arbeitszei­t. Es sehe aus, als ließen sich diese Ziele in schrittwei­sen Verhandlun­gen leichter umsetzen als in großen Gesprächen.

In Summe also ein kräftiges Lebenszeic­hen für die Sozialpart­nerschaft, die manche schon für tot erklärt hatten? So weit würde IHSChef Kocher doch nicht gehen. „Die Sozialpart­nerschaft hat ihre Pflicht erfüllt, und sie hat sie gut erfüllt.“Wifo-Experte Leoni dagegen sieht diese Institutio­n durchaus noch als „zeitgemäß und effizient“, wenngleich manches mitunter aufwendig und mühsam sei.

Vereinfach­en ließe sich das Prozedere etwa dadurch, dass man manche Dinge im Vorfeld klären könnte – etwa die Einigung, von welcher Inflations­rate oder von welcher Produktivi­tätssteige­rung man ausgeht. Der Streit um diese zwei Kenngrößen hatte diesmal einen Großteil der Verhandlun­gszeit ausgemacht.

 ?? BILD: SN/FOTOLIA ??
BILD: SN/FOTOLIA
 ??  ??
 ??  ?? Martin Kocher Direktor des IHS
Martin Kocher Direktor des IHS

Newspapers in German

Newspapers from Austria