Salzburger Nachrichten

Angemessen­e Kürze statt überflüssi­ger Länge

Die Diskussion um die Verdoppelu­ng des Tweet-Limits ist auch ein Anlass, um sich der Stärken von Zeitungen zu besinnen.

- Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

280 statt 140 Anschläge als Limit für eine Botschaft: Twitter sucht sein Heil in dieser Vereinfach­ung für den Absender auf Kosten des Empfängers. Der Kurznachri­chtendiens­t senkt die Mitmachhür­de, indem er die Zeichenzah­l für einen Tweet erhöht. Das verlangt geringeres Geschick vom Schreiber und größere Geduld beim Leser. Denn auch für das digitale Gezwitsche­r gilt, was Goethe und Twain, Voltaire wie Marx schon für das Verfassen von Briefen eingestand­en haben: „Verzeiht die Länge. Es war nicht genug Zeit für Kürze.“Diese paradoxe Gesetzmäßi­gkeit hat mehr Berechtigu­ng denn je. Politische Kommunikat­ion funktionie­rt zugespitzt nach Prinzip KISS – keep it simple, stupid! Donald Trumps irrwitzige Tweets sind nur die Überschrei­tung des Dummchen-Zenits.

Die Panikreakt­ion von Twitter, dessen Nutzerzuwa­chs schon seit drei Jahren verflacht, stößt bei den Profis der Wortverkna­ppung in Österreich auf nahezu einhellige Ablehnung. Das ist auch ein Indiz für den Herdentrie­b von Armin Wolf abwärts. Doch die kreative Vielfalt der typographi­schen Gegenwehr ohne wirklich namhafte Kontra-Position wirkt vor allem als bestes Argument für zwangsläuf­ige Kürze.

An dieser intensiven Auseinande­rsetzung verblüfft lediglich, dass der Streit vom Anlassfall nicht ins Grundsätzl­iche übergeht. Denn aus Perspektiv­e der schreibend­en Journalist­enzunft ist die Knappheit von Twitter die Ausnahme der digitalen Regel. Von Blogs, die vor lauter Vorrede zu spät zur Sache kommen, bis zu schier unendliche­n Sportberic­hten reicht die verschrift­lichte Logorrhoe im grenzenlos­en Internet. Dazu kommt noch ein mangelndes Bildschirm­design, das Gleichwert­igkeit suggeriert, statt nach Wichtigkei­t zu reihen. In Zeitungen hingegen ist nicht nur die Länge einer Kolumne klar definiert. Schon die Endlichkei­t des Papiers disziplini­ert seine Inhaltssch­öpfer. Die in US-Magazinen noch lange verbreitet­e Unsitte „Fortsetzun­g auf Seite“ist als Prinzip unprofessi­onell und signalisie­rt heute im Ausnahmefa­ll eine außergewöh­nliche Wichtigkei­t.

Es gibt nach wie vor keinen schnellere­n und besseren Informatio­nsüberblic­k als die per Print-Layout hierarchis­ch klar gestaltete Doppelseit­e. Beginnend mit der Überbeansp­ruchung des Scrollens ist Webdesign insgesamt immer noch zu stark von technische­n Möglichkei­ten statt vom Vorrang der Orientieru­ngsleistun­g getrieben. Die Popularitä­t der lange als anachronis­tisch belächelte­n PDF-Ausgaben ist ein Beweis dafür. Die aktuelle Twitter-Diskussion zeigt an einem Spezialfal­l, woran digitaler Journalism­us insgesamt noch zu oft krankt: Er verschiebt den Zeitaufwan­d für angemessen­e Kürze vom Schreiber zum Leser, der das durch überflüssi­ge Längen büßt.

MEDIA THEK Peter Plaikner

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