Hengste, Katzen, Mandatare
Als Kaiser Franz Joseph 1884 zum ersten Mal das Parlamentsgebäude in Wien besuchte, erregte ein Detail die allerhöchste Heiterkeit. Das Wandgemälde des Budgetausschusses zeigte Engerl, die Füllhörner voll Gold trugen. Das fand der Monarch, dessen Reich ständig unter Geldnot litt, recht lustig.
Trotzdem kam Franz Joseph nie wieder. Das Parlament, das war nicht so seines. Jetzt aber, eine halbe Ewigkeit später, kommt das Parlament zum Kaiser. Die erste Sitzung der neu gewählten Mandatare fand Donnerstag in der Wiener Hofburg statt. Und zwar in unmittelbarer Nähe der Winterreitschule, wo die Lipizzaner-Hengste springen.
Diese räumliche Nähe von Parlament und Spanischer Hofreitschule kann kein Zufall sein. Es zeugt vielmehr von einer tiefen inneren Verwandtschaft der beiden Institutionen. Die Parallelen sind ja tatsächlich augenfällig.
Da wie dort müssen die Darsteller in getrennten Boxen (auch Klubs genannt) untergebracht werden, damit sie einander nicht treten oder beißen. Da wie dort gibt es einen Oberbereiter (im Falle des Parlaments halt Nationalratspräsidentin genannt). Und da wie dort sind die Kunststücke, die vorgeführt werden, aufs Trefflichste eintrainiert, aber irgendwie aus der Zeit gefallen.
Bei den Sprüngen der Lipizzaner wie der Levade, Kapriole oder Courbette ahnt man noch, wozu sie einst gut waren. Sie sollten dem Reiter im Schlachtgetümmel den Feind vom Leibe halten. Bei den parlamentarischen Kunststücken wie Erster, Zweiter und Dritter Lesung, Dringlicher Anfrage oder Aktueller Stunde weiß man hingegen überhaupt nicht mehr, wozu sie eigentlich erfunden wurden.
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Parlament und Spanischer Hofreitschule: Der Nachwuchs neigt dazu, die Farbe zu wechseln. Bei den Lipizzanern erfolgt der Wechsel von Schwarz bzw. Braun zu Weiß, in der Politik von Schwarz zu Türkis.
Es gibt allerdings auch einen gravierenden Unterschied, der ebenfalls mit dem Thema Farbe zu tun hat. Unter den ausgewachsenen Lipizzanern befindet sich meist ein einziges braunes Pferd. Denn laut uraltem Aberglauben wird die Spanische Hofreitschule so lange bestehen, so lange jede Generation zumindest einen Braunen aufweist. Im Parlament gilt diese Regel nicht.
Ein letzter Unterschied sei noch erwähnt: Die Hofreitschule hat im Unterschied zum Parlament eine Katze. Was heißt Katze – eine Überkatze! Man sieht ihr förmlich an, wie ernst sie das ihr übertragene Geschäft des hofburglichen Mäusefangs nimmt. Und ihre leibesmittige Ausgestaltung (in der Architektur würde man von einem Tonnengewölbe sprechen) stellt der Wiener Hofburg punkto Mäusereichtum wirklich das allerschönste Zeugnis aus.
Das Parlament hingegen hat, so weit man weiß, keine Katze. Das liegt vermutlich an den komplizierten Genehmigungsverfahren. Denn in der Hofreitschule sind Mäuse und ergo Katzen seit der Gründung im 16. Jahrhundert alteingesessen und somit nicht mehr genehmigungspflichtig. In einer Institution wie dem Parlament eine neue Katze anzustellen, stieße hingegen auf erhebliche bürokratische Hemmnisse.
Nötig hierfür wäre zuvörderst eine budgetwirksame Planstelle, weiters eine Umweltverträglichkeitsprüfung, eine Verordnung des EU-Agrarkommissars, eine Betriebsanlagengenehmigung (inkl. CO2-Ausweis der gegenständlichen Katze), eine AK-zertifizierte Arbeitszeitregelung, eine Stellungnahme des Veterinäramts und was der Gesetzgeber in seinem Füllhorn halt sonst noch so an nützlichen Ideen bereithält.
Seit dem Parlamentsumzug in die Hofburg weiß man auch, warum der Amtsschimmel so wiehert. Es ist z’wegen der Nachbarschaft.