Rendezvous der Farben
Frankreichs tiefer Süden. Rotbraun, Siena, Ziegelrot und Ocker, sattes Blau und leuchtendes Grün – unverkennbar die Farbpalette der „Grand Site du Salagou et de Mourèze“.
„Deux cafés crème?“– Das ist weniger eine Frage als vielmehr eine Vergewisserung des Kellners, ob wir unserer Gewohnheit nicht doch noch untreu werden. Zum wiederholten Male machen wir es uns im Gastgarten des „Zone Rouge“in Salasc, einem Dorf westlich von Clermont-l’Hérault, gemütlich. Mario, ein schlanker, ergrauter Alt-68er, verschwindet mit unserem einstimmigen „Oui“in die Bar hinein. Nur ein einziger Gast am Nebentisch; auch aus dem Lokal gähnt Leere und Stille. Kaum zu glauben, dass hier an Sommerabenden die Post abgeht mit Live-Bands, deren Funk-&-SoulRhythmen zum Nachthimmel vibrieren. Der Typ nebenan scheint Gesellschaft zu suchen, und tatsächlich lädt er sich mit einem unkomplizierten „Na, habt’s das Rot da draußen schon g’sehn?“ungeniert an unseren Tisch ein. „Da spart’s euch echt einen Ausflug zum Grand Canyon, so ein grandioses Rot ist das, oder?“Wir wissen, wovon Andreas alias André, der frankophile Fotograf aus München, schwärmt: Die rote Landschaft rund um den Lac du Salagou. Hier eröffnet sich ein tiefrotes Paradies für all jene, die das Abstrakte in der Landschaft suchen und die für Farbkontraste brennen. An Hängen von Hügeln und Bergen staffeln sich ziegelrote Terrassen; zimtfarbene, geschmeidige Kegelformen münden in dunkle Erosionsrinnen und kleine Schluchten. In unzähligen Schattierungen fließt die Farbe Rot in weichen Wellen über das Land. Dazwischen flammen hellgrüne Inseln niedrigen Buschwerks, und mittendrin der sattblaue Klecks des Lac du Salagou.
Das Gebiet, das 30 Kilometer westlich von Montpellier liegt und kaum bis zur Stadt Lodève hinaufreicht, mag recht überschaubar erscheinen, doch bei einer ersten Foto-Exkursion wird bald deutlich, dass wir fast überfordert sind angesichts der Fülle an Motiven.
Zweifellos trägt auch die karge Vegetation zur Attraktivität der Landschaft bei. Gräser, die die Gluthitze des Sommers zu fahlem Ocker gebleicht hat, stehen in Büscheln wie Oasen oder laufen in dekorativen Linien über die roten Hügel. Disteliges Gestrüpp und Thymian sind ständige Begleiter, und in höheren Lagen prangen leuchtend grüne Pinien mit ihren ausladenden Baumkronen. Eisenoxyd sorgt für das kräftige Rot der „Ruffes“genannten, bis zu eineinhalb Zentimeter großen, scharfkantigen Sedimentblättchen. Geologisch ein Produkt aus der Perm-Zeit, entstanden diese Ruffes durch Erosion der umliegenden Berge. Doch dass dieses Gebiet nicht nur geologisch, sondern auch paläontologisch etwas zu bieten hat, davon zeugt der Ort La Lieude, wenige Kilometer westlich vom Lac du Salagou. Dort erinnert ein eingezäuntes, überdachtes Areal mit Spuren prähistorischer Reptilien an die Ursprünge des Lebens. Wesentlich jüngeren Datums, aber nicht zwingend besser erhalten, sind die Ruinen des Châteaux du Malavieille, das einen hoch aufragenden, markanten Mauerrest in den azurblauen Himmel sticht.
Es lässt sich gut nachempfinden, warum André der Landschaft um den Lac du Salagou regelrecht verfallen ist. Wir sind es auch, und seine Frage, ob wir schon auf dem 535 Meter hohen Mont Liausson gewesen sind, erübrigt sich eigentlich. Ohne einen Ausblick von dort oben wäre die Entdeckungstour nur eine halbe Sache. Der Aufstieg gleicht einem Spaziergang, lediglich die letzten Höhenmeter fordern ungeübte Wanderer heraus. Doch beim weiten Blick hinunter auf den See und seine ziegelroten Ufer, die das Blau seines Wassers förmlich zum Flirren bringen, ist jede Anstrengung vergessen.
Vergessen ist auch, dass die Entstehung des Sees Menschenwerk war. In den 1960erJahren wurde ein Damm errichtet, der den Salagou-Fluss zu seiner heutigen Form aufstaut und einen Teil des Ortsgebiets Celles in den Fluten versinken ließ. Immer noch zeugen Baumleichen, die kahl und schwarz aus dem Wasser ragen, davon, dass einmal Land war, wo heute Angler ihre Ruten auswerfen. Der See wässert ein Mosaik aus Olivenhainen, Weizen- und Weinfeldern und lockt so manchen zu einem Sprung ins erfrischende Nass.
Und immer wieder bleibt der Blick am Rot der Erde haften, das umso intensiver erscheint, je tiefer Risse, Furchen und Miniatur-Canyons den Boden durchpflügen. Es sieht aus, als wäre das Land mit blutenden Wunden geschlagen, doch in Wirklichkeit findet hier ein prickelndes Rendezvous von Rot und Blau statt.
Der Blick auf die andere Seite des Mont Liausson fällt über einen grünen Vegetationswall hinab in den Cirque de Mourèze, einen Wald aus zum Teil spektakulären steil aufragenden Dolomitnadeln, allein optisch schon der krasse Gegensatz zur SalagouLandschaft – auch von Rot keine Spur! An einem Informationskiosk vor dem östlichen Eingang zum malerischen Dörfchen Mourèze bietet sich ein guter Zugang zum Felslabyrinth des Cirque. Es gibt zwar Markierungen, die durch das weitläufige Gelände führen, aber nichts spricht gegen eine Tour auf eigene Faust, ein paar felsige Sackgassen inbegriffen.
Andrés enthusiastische Aussage „Ich brauch nicht um den Globus zu jetten, ich hab meine Nationalparks vor der Tür“hat sich auch für uns bestätigt.