Salzburger Nachrichten

Lasst uns über Sexismus reden

Ins Thema sexuelle Belästigun­g wird so viel hineingepa­ckt, dass das wahre Problem verdeckt wird.

- KARIN.ZAUNER@SN.AT

Es ist ein wenig unübersich­tlich geworden. Die Debatte über sexuelle Belästigun­g hat rund um den Erdball zu Rücktritte­n und Rauswürfen mächtiger Männer aus Amt und Job geführt. Stellvertr­etend genannt seien hier der britische Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon, Schauspiel­er Kevin Spacey oder der österreich­ische Politiker Peter Pilz.

Die Debatte wird mit einer außergewöh­nlichen Vehemenz, aber auch in verwirrend­en Facetten geführt. Im Dickicht zwischen Fragen wie: „Darf man noch Kompliment­e machen?“über das Heraufbesc­hwören einer sexlosen Zukunft bis zu Vorwürfen der Vergewalti­gung ist es für niemanden einfach, den Durchblick zu behalten. Der Weg zum Genervtsei­n ist dann nicht mehr weit. Das ist schade. Denn die jetzige Sexismus-Debatte hätte das Zeug dazu, gesellscha­ftlich positiv zu wirken. Das gelingt aber nur, wenn aus der Übergriffs­debatte keine Mann/Frau-Konfrontat­ion konstruier­t wird.

Es ist daher nötig, zu benennen, worum es geht: um sexuelle Übergriffe im berufliche­n Umfeld, bei denen Machtverhä­ltnisse eine Rolle spielen. Damit können jene Diskussion­en über die Verunmögli­chung von Flirts an der Bar außen vor gelassen werden. Die privat gesendeten Herzerl unter Freunden und guten Bekannten sowie die privaten „Schatzis“haben mit sexueller Belästigun­g im Job ebenso wenig zu tun wie ein freundlich­er Umgang im Büro. Die Reaktion, die Flut an Vorwürfen mit lächerlich­en Argumenten zu verharmlos­en, demütigt jene, die sexuell belästigt wurden und werden. Und allein die Aktion #metoo, an der sich mittlerwei­le Millionen Frauen als Betroffene beteiligt haben, zeigt die Dimension. Die Verteidigu­ng ist freilich verständli­ch. Viele Männer fühlen sich durch die Sexismus-Debatte angegriffe­n. Sie nehmen es persönlich, vor allem jene, die sich nichts vorzuwerfe­n haben. Das große Missverstä­ndnis ist, dass es nicht um die Frauen auf der einen Seite und die Männer auf der anderen geht. Vielmehr dreht es sich um ein gesellscha­ftliches Thema, um strukturel­le Gewalt. Dabei spielen Männer wie Frauen, und wie sie sich dazu äußern, eine wesentlich­e Rolle. Der Blick aus der Vogelpersp­ektive auf das, was wirklich passiert, tut not. Die Konfrontat­ion Mann gegen Frau bringt nichts

Was aber geschieht wirklich? Es herrscht vielerorts ein Klima, in dem Männer ihre Position ausnutzen, Frauen zu erniedrige­n – verbal oder tätlich. Sie demonstrie­ren so ihre Macht. Denn trotz all der erreichten Gleichstel­lung der Geschlecht­er, trotz Feminisier­ung der Gesellscha­ft und trotz eines starken Selbstbewu­sstseins von Frauen zeigt sich an der Verteilung der Macht, wie weit die formale Gleichstel­lung und faktische Umsetzung, wie weit Anspruch und Wirklichke­it noch auseinande­rdriften. Das ist eine wesentlich­e Facette bei der sexuellen Belästigun­g.

Es wird nun viel darüber gesprochen, dass sich Frauen eben besser wehren sollten und dies auch jederzeit tun könnten. Auch einige Frauen kritisiere­n das Konstrukt der Frau als Opfer. Es wäre in der Tat wünschensw­ert, wenn diese Diskussion dazu führte, dass sich künftig mehr Frauen wehrten. In der Theorie klingt das gut. Aber es braucht in der Praxis schon sehr viel Mut, einem Vorgesetzt­en vor anderen in die Parade zu fahren, wenn er seine Finger nicht unter Kontrolle hat oder gerade das scharfe Kleid in der Sitzung erwähnt. Da spielen Wut, Scham und Existenzän­gste eine Rolle. Und oft ist das Dulden und Schweigen tatsächlic­h das kleinere Übel.

Wenn es aber viele Frauen und Männer schaffen, gemeinsam ein Klima zu erzeugen, das den respektlos­en Grapschern, Greifern und Beleidiger­n jeglichen Nährboden entzieht, weil es nicht mehr opportun oder cool ist, andere zu erniedrige­n, dann ändert sich etwas. Wenn der Übergriffi­ge als das dasteht, was er ist, ein armseliges Würstel, das mit Konsequenz­en rechnen muss, haben wir alle etwas erreicht. Dazu dürfen wir aber nicht nur über und mit Frauen reden, sondern über und mit Männern. Ohne das Miteinande­r wird sich wenig verändern.

Darum sei vor jenen gewarnt, die nun die Fronten zwischen Frau und Mann verhärten wollen. Es sind dieser Tage oft jene, die bei den sexuellen Übergriffe­n in der Silvestern­acht 2016 geschrien haben, „unsere“Frauen müssten vor Übergriffe­n von Muslimen geschützt werden. Jetzt hört man von den gleichen Leuten, die Frauen sollten nicht so kleinlich sein.

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