Lasst uns über Sexismus reden
Ins Thema sexuelle Belästigung wird so viel hineingepackt, dass das wahre Problem verdeckt wird.
Es ist ein wenig unübersichtlich geworden. Die Debatte über sexuelle Belästigung hat rund um den Erdball zu Rücktritten und Rauswürfen mächtiger Männer aus Amt und Job geführt. Stellvertretend genannt seien hier der britische Verteidigungsminister Michael Fallon, Schauspieler Kevin Spacey oder der österreichische Politiker Peter Pilz.
Die Debatte wird mit einer außergewöhnlichen Vehemenz, aber auch in verwirrenden Facetten geführt. Im Dickicht zwischen Fragen wie: „Darf man noch Komplimente machen?“über das Heraufbeschwören einer sexlosen Zukunft bis zu Vorwürfen der Vergewaltigung ist es für niemanden einfach, den Durchblick zu behalten. Der Weg zum Genervtsein ist dann nicht mehr weit. Das ist schade. Denn die jetzige Sexismus-Debatte hätte das Zeug dazu, gesellschaftlich positiv zu wirken. Das gelingt aber nur, wenn aus der Übergriffsdebatte keine Mann/Frau-Konfrontation konstruiert wird.
Es ist daher nötig, zu benennen, worum es geht: um sexuelle Übergriffe im beruflichen Umfeld, bei denen Machtverhältnisse eine Rolle spielen. Damit können jene Diskussionen über die Verunmöglichung von Flirts an der Bar außen vor gelassen werden. Die privat gesendeten Herzerl unter Freunden und guten Bekannten sowie die privaten „Schatzis“haben mit sexueller Belästigung im Job ebenso wenig zu tun wie ein freundlicher Umgang im Büro. Die Reaktion, die Flut an Vorwürfen mit lächerlichen Argumenten zu verharmlosen, demütigt jene, die sexuell belästigt wurden und werden. Und allein die Aktion #metoo, an der sich mittlerweile Millionen Frauen als Betroffene beteiligt haben, zeigt die Dimension. Die Verteidigung ist freilich verständlich. Viele Männer fühlen sich durch die Sexismus-Debatte angegriffen. Sie nehmen es persönlich, vor allem jene, die sich nichts vorzuwerfen haben. Das große Missverständnis ist, dass es nicht um die Frauen auf der einen Seite und die Männer auf der anderen geht. Vielmehr dreht es sich um ein gesellschaftliches Thema, um strukturelle Gewalt. Dabei spielen Männer wie Frauen, und wie sie sich dazu äußern, eine wesentliche Rolle. Der Blick aus der Vogelperspektive auf das, was wirklich passiert, tut not. Die Konfrontation Mann gegen Frau bringt nichts
Was aber geschieht wirklich? Es herrscht vielerorts ein Klima, in dem Männer ihre Position ausnutzen, Frauen zu erniedrigen – verbal oder tätlich. Sie demonstrieren so ihre Macht. Denn trotz all der erreichten Gleichstellung der Geschlechter, trotz Feminisierung der Gesellschaft und trotz eines starken Selbstbewusstseins von Frauen zeigt sich an der Verteilung der Macht, wie weit die formale Gleichstellung und faktische Umsetzung, wie weit Anspruch und Wirklichkeit noch auseinanderdriften. Das ist eine wesentliche Facette bei der sexuellen Belästigung.
Es wird nun viel darüber gesprochen, dass sich Frauen eben besser wehren sollten und dies auch jederzeit tun könnten. Auch einige Frauen kritisieren das Konstrukt der Frau als Opfer. Es wäre in der Tat wünschenswert, wenn diese Diskussion dazu führte, dass sich künftig mehr Frauen wehrten. In der Theorie klingt das gut. Aber es braucht in der Praxis schon sehr viel Mut, einem Vorgesetzten vor anderen in die Parade zu fahren, wenn er seine Finger nicht unter Kontrolle hat oder gerade das scharfe Kleid in der Sitzung erwähnt. Da spielen Wut, Scham und Existenzängste eine Rolle. Und oft ist das Dulden und Schweigen tatsächlich das kleinere Übel.
Wenn es aber viele Frauen und Männer schaffen, gemeinsam ein Klima zu erzeugen, das den respektlosen Grapschern, Greifern und Beleidigern jeglichen Nährboden entzieht, weil es nicht mehr opportun oder cool ist, andere zu erniedrigen, dann ändert sich etwas. Wenn der Übergriffige als das dasteht, was er ist, ein armseliges Würstel, das mit Konsequenzen rechnen muss, haben wir alle etwas erreicht. Dazu dürfen wir aber nicht nur über und mit Frauen reden, sondern über und mit Männern. Ohne das Miteinander wird sich wenig verändern.
Darum sei vor jenen gewarnt, die nun die Fronten zwischen Frau und Mann verhärten wollen. Es sind dieser Tage oft jene, die bei den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2016 geschrien haben, „unsere“Frauen müssten vor Übergriffen von Muslimen geschützt werden. Jetzt hört man von den gleichen Leuten, die Frauen sollten nicht so kleinlich sein.