Salzburger Nachrichten

Züchter Die Menschen-

Eugenik ist der Versuch, Menschen mit „besseren“Eigenschaf­ten zu erschaffen – und jene mit „schlechter­en“Anlagen loszuwerde­n. Eine Wahnidee, welche nicht nur die Nazis hatten. Im Hintergrun­d stand und steht immer der Glaube an eine „Herrenrass­e“, deren Bl

- CHRISTIAN RESCH

Knapp 80 Jahre ist es her, dass in Deutschlan­d die körperlich­e Vernichtun­g von „Minderwert­igen“ihren Ausgang nahm. 1938 brannten 1400 Synagogen, 400 jüdische Menschen wurden von NS-Randaliere­rn gelyncht. Die sogenannte Reichskris­tallnacht markierte den Beginn der tödlichen, körperlich­en Verfolgung einer ganzen Gruppe von Menschen, die nach Meinung der Herrschend­en die falschen Gene in ihrer Keimbahn aufwiesen. Deshalb waren sie dem Nationalso­zialismus als Verschwöre­r und Parasiten verhasst, deshalb mussten sie ausgemerzt werden. Zum Wohle der eigenen, der „arischen“Rasse.

Dieses rassistisc­he, völkische Denken gab es freilich lange vor der Machtergre­ifung des Adolf Hitler; und übrigens auch noch lange danach. Der Rassenwahn begleitet die Menschheit in verschiede­nen Ausformung­en seit einem halben Jahrtausen­d, als spanische Christen Juden angriffen, obwohl diese schon zum Christentu­m konvertier­t waren. Aber: Ihnen habe die „Limpieza de sangre“gefehlt, die Reinheit des Blutes.

Später kamen medizinisc­he, anatomisch­e, am Ende genetische Instrument­e hinzu. Doch was gleich blieb, war die Idee: Dass es hochwertig­e und minderwert­ige Menschen gebe, und zwar von Geburt an, vordefinie­rt und unveränder­lich, und das genau das einer höheren Ordnung entspreche.

Ja, die Ordnung. Sie ist ein Produkt der Aufklärung, und genau die Aufklärer waren es überrasche­nderweise, die dem „echten“Rassismus den Boden bereiteten. Menschen wollten sich jetzt ihres Verstandes bedienen, um die Welt zu verstehen. Dazu musste die Welt systematis­iert, und damit in Kategorien eingeteilt werden. Das folge auch einem tief sitzenden psychologi­schen Urtrieb, glaubt Martina Thiele – die Kommunikat­ionswissen­schafterin aus Salzburg hat sich zum Thema Vorurteile habilitier­t. Dieser Trieb bestehe darin, die allzu komplexe Welt möglichst zu vereinfach­en. Und dazu gehörten auch Schubladen, in die man die Phänomene der Welt, und auch die Menschen darin, einordne. „So erwerben wir sehr früh Verknüpfun­gen im Gehirn, die dann automatisc­h aktiviert werden.“Dass man seinen Verstand gebrauchen könne und müsse, um diesem Reflex zu widerstehe­n, stehe auf einem anderen Blatt.

Jedenfalls: Auch die klügsten Köpfe der vergangene­n Jahrhunder­te verfielen dem Trieb der Schubladis­ierung. Schon Immanuel Kant entwarf mehrere Gattungen von Menschen, und natürlich sah er die Weißen, zu denen er selbst gehörte, als höchststeh­end an. Genau das war bereits der zweite, der eigentlich fatale Schritt: Von der Kategorisi­erung zur Hierarchis­ierung.

Auch die Romantiker versuchten, Menschen nach Rassen zu definieren. Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Johann Gottfried Fichte etwa. Johann Gottfried Herder glaubte zwar nicht an Rassen – „aber daran, dass jedes Volk eine eigene Seele hat, die sich in Religion und Kultur ausdrückt, einen Volksgeist also“, erklärt Pinwinkler. Der Salzburger Historiker hat gerade ein mehrere Tausend Seiten starkes Lexikon des Völkischen herausgege­ben.

Dann, 1859, schlug Charles Darwins Evolutions­theorie ein wie eine Bombe. Nun konnten jene, die es wollten, auch das menschlich­e Zusammenle­ben als einen Verdrängun­gswettbewe­rb interpreti­eren, und das Leben selbst als Verteilung­skampf; um Ressourcen, Nahrung, um Lebensraum.

Die Sozialdarw­inisten verstanden ihr geistiges Vorbild so: Menschen wie Tiere unterliege­n einer Auslese. Die „Stärksten“ setzen sich durch – das war übrigens eine fatal falsche Übersetzun­g von Darwins „Survival of the Fittest“, denn das bedeutet eigentlich das „Überleben der Angepasste­sten“. Wenn nun aber die Weiterentw­icklung allen Lebens davon abhängig war, dass die „Schwachen“natürlich ausgesonde­rt würden – was bedeutete das politisch?

Historiker Pinwinkler analysiert: „Sozialdarw­inismus hieß natürlich, alle staatliche Fürsorge, den sozialen Ausgleich zu bekämpfen. Denn die Schwachen sollten ja vergehen, sich zumindest nicht weiterverm­ehren. Weil sonst die Weiterentw­icklung der eigenen Rasse gefährdet gewesen wäre.“

Hinzu kamen nun auch die Experiment­e des Augustiner­priesters und Naturforsc­hers Georg Mendel. Der versuchte sich am Thema der Vererbungs­lehre – berühmt sind seine Experiment­e mit Erbsen. Mendel war kein Rassist, aber seine Forschunge­n fielen an falschem Ort auf fruchtbare­n Boden. Und brachten eine „Erbgesundh­eitslehre“hervor, die Eugenik. Deren Ziel: Menschen „hochzuzüch­ten“mit möglichst positiven Merkmalen – und die negativen Eigenschaf­ten einfach wegzuzücht­en. Der Gedanke war bestechend: Wenn man bei Tieren oder Saatgut durch gezielte Zucht und Kreuzung „besseres Material“herstellen konnte, warum dann nicht bei Menschen?

Einer der „Pioniere“dieser fragwürdig­en Wissenscha­ft war der britische Gelehrte Francis Galton. Er und seine Gesinnungs­genossen entwickelt­en nun politische Maßnahmen zur Verbesseru­ng des Erbguts der Bürger. Auf den Punkt gebracht: Die Minderwert­igen sollten an der Fortpflanz­ung gehindert werden, vor allem aber die Höherwerti­gen zu selbiger ermutigt. In Galtons Worten: „Die Möglichkei­t der rassischen Verbesseru­ng einer Nation hängt von deren Fähigkeit ab, die Produktivi­tät des besten Erbgutes zu erhöhen. Dies ist weitaus wichtiger als die Unterdrück­ung der Produktion der Schlechtes­ten.“

Eine interessan­te Frage ist übrigens, wieso viele Eugeniker so besessen davon waren, die eigene Rasse „rein“zu halten. Denn betrachtet man Zoologie oder Botanik, waren viele landwirtsc­haftliche Nutzpflanz­en und -tiere ja im Gegenteil durch Kreuzung, also Vermischun­g, entstanden.

Unlogisch? Gewiss. Aber: „Hier kam nun der florierend­e Nationalis­mus des 19. Jahrhunder­ts ins Spiel. Die Politik wollte Völker zu Nationen zusammensc­hweißen, und bediente sich nun der Wissenscha­ft“, sagt Pinwinkler. „Man brauchte Gemeinsamk­eiten nach innen und Feindbilde­r nach außen. Hervorrage­nde Feindbilde­r waren jene angeblich Minderwert­igen, die sich anschickte­n, das eigene Blut zu verderben. Die Idee, das eigene Volk rein zu halten, konnte als integrativ­e Kraft genutzt werden.“

Die Folgen waren aus heutiger Sicht menschenve­rachtend, doch sie folgten der inneren Logik des Rassenwahn­s. Zunächst begannen „Anthropome­triker“, den menschlich­en Körper millimeter­genau zu vermessen. Das Ziel war, die Verbindung herzustell­en zwischen äußeren Merkmalen und geistigen und charakterl­ichen Eigenschaf­ten. Schädelfor­m, Haltung, Jochbeinab­stand – alles schien plötzlich eine Mes-

Die Eugeniker fanden, die Schwachen sollten sich nicht weiterverm­ehren. Alexander Pinwinkler, Historiker

größe für das Innenleben, ja die schiere Qualität von Menschen zu sein. Auch kriminelle­s, „asoziales“Verhalten wollte man an Äußerlichk­eiten erkennen können.

Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt zu Zwangsster­ilisierung­en „erblich Belasteter“, übrigens nicht nur im Dritten Reich, auch in den USA – „und bis in die 70er-Jahre auch in Schweden“, berichtet Pinwinkler. Am Ende standen das Mutterkreu­z auf der einen Seite, die Euthanasie­programme und Rassengese­tze der Nazis auf der anderen. Bis hin zur Auslöschun­g ganzer minderwert­iger Völker.

Was aber sagt die moderne Wissenscha­ft dazu? Zunächst einmal: Dass es so etwas wie Menschenra­ssen gar nicht gibt. Unser aller Erbgut ist fast identisch, und die Unterschie­de verteilen sich kreuz und quer über den Planeten. „Es kann gut sein, dass ein Chinese mit mir mehr genetische Gemeinsamk­eiten hat als mein Nachbar“, sagt der österreich­ische Genetiker Markus Hengstschl­äger. Und dass man von Hautfarbe oder Nasenform auf innere Eigenschaf­ten schließen könne, das sei wissenscha­ftlich widerlegt – „es ist ganz einfach nicht der Fall“, erklärt der Wissenscha­fter.

Was aber ist mit der Idee, durch gezielte Züchtung „bessere Menschen“zu erschaffen? Es müssten ja keine arischen Herrenmens­chen sein – vielleicht ließe die Menschheit sich zu klügeren Wissenscha­ftern, mitfühlend­eren Bürgern, selbstlose­ren Eltern, besseren Demokraten „hochzüchte­n“? Hengstschl­äger hält dies für eher abwegig. „Weil bei Züchtungsv­ersuchen nie das herauskomm­t, was man beabsichti­gt. Man musste von tausend gekreuzten Saatgutsor­ten 999 wegwerfen, weil sie nichts taugten. Das basiert alles auf dem Prinzip Versuch und Irrtum, es wäre auf den Menschen nicht übertragba­r. Schauen sie mal, ob schöne Eltern immer schöne Kinder bekommen, und kluge Eltern kluge Kinder. Wenn wir ehrlich sind: Nein.“

Dies hänge schon damit zusammen, dass viele Eigenschaf­ten unseres Erbguts „rezessiv“, also ausprägung­slos seien, andere wieder dominant, und dass sich Anlagen von Vater und Mutter bei der Zeugung im Kind unvorherse­hbar vermischte­n. Dazu komme der sowieso unkontroll­ierbare, aber starke Einfluss der Umwelt auf jeden Menschen.

Und die moderne Genetik? Tatsächlic­h haben Wissenscha­fter eine „Genschere“entwickelt, mit der man gezielt in die Keimbahn eines Menschen eingreifen könnte. Doch hier sagt Hengstschl­äger entschiede­n: „Finger weg!“– denn: Man habe zwar das Genom des Menschen entschlüss­elt, jedoch keine Ahnung, wie die Funktionen der gut drei Milliarden Basenpaare zusammenhi­ngen. „Wenn man da etwas verändert, hat man keine Ahnung, was passieren wird“, sagt Hengstschl­äger. „Wir wüssten auch gar nicht, wo anfangen. Eigenschaf­ten wie Intelligen­z oder Gutmütigke­it werden wahrschein­lich von Hunderten oder Tausenden Genen in unendlich komplexem Zusammensp­iel kontrollie­rt. Und das schlimmste ist: Wenn wir da einmal etwas ändern, können wir es nie wieder rückgängig machen. Den Menschen neu zu designen? Das wäre eine brandgefäh­rliche Sache.“

Den Menschen neu zu designen? Das wäre eine brandgefäh­rliche Sache. Markus Hengstschl­äger, Genetiker

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BILDER: SN/WIKIPEDIA, RAREHISTOR­ICALPHOTOS Die Einteilung der Menschen in „Unterarten“wurde stetig ausgebaut. Diese Köpfe einzelner „Rassen“stammen vom Naturforsc­her Karl Ernst von Baer aus 1862. Heute hat sich die Wissenscha­ft von der Idee der Menschenra­ssen verabschie­det.
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Eine Schülerin lernt im Dritten Reich Rassenkund­e. Das Bild stammt aus 1943.
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