Züchter Die Menschen-
Eugenik ist der Versuch, Menschen mit „besseren“Eigenschaften zu erschaffen – und jene mit „schlechteren“Anlagen loszuwerden. Eine Wahnidee, welche nicht nur die Nazis hatten. Im Hintergrund stand und steht immer der Glaube an eine „Herrenrasse“, deren Bl
Knapp 80 Jahre ist es her, dass in Deutschland die körperliche Vernichtung von „Minderwertigen“ihren Ausgang nahm. 1938 brannten 1400 Synagogen, 400 jüdische Menschen wurden von NS-Randalierern gelyncht. Die sogenannte Reichskristallnacht markierte den Beginn der tödlichen, körperlichen Verfolgung einer ganzen Gruppe von Menschen, die nach Meinung der Herrschenden die falschen Gene in ihrer Keimbahn aufwiesen. Deshalb waren sie dem Nationalsozialismus als Verschwörer und Parasiten verhasst, deshalb mussten sie ausgemerzt werden. Zum Wohle der eigenen, der „arischen“Rasse.
Dieses rassistische, völkische Denken gab es freilich lange vor der Machtergreifung des Adolf Hitler; und übrigens auch noch lange danach. Der Rassenwahn begleitet die Menschheit in verschiedenen Ausformungen seit einem halben Jahrtausend, als spanische Christen Juden angriffen, obwohl diese schon zum Christentum konvertiert waren. Aber: Ihnen habe die „Limpieza de sangre“gefehlt, die Reinheit des Blutes.
Später kamen medizinische, anatomische, am Ende genetische Instrumente hinzu. Doch was gleich blieb, war die Idee: Dass es hochwertige und minderwertige Menschen gebe, und zwar von Geburt an, vordefiniert und unveränderlich, und das genau das einer höheren Ordnung entspreche.
Ja, die Ordnung. Sie ist ein Produkt der Aufklärung, und genau die Aufklärer waren es überraschenderweise, die dem „echten“Rassismus den Boden bereiteten. Menschen wollten sich jetzt ihres Verstandes bedienen, um die Welt zu verstehen. Dazu musste die Welt systematisiert, und damit in Kategorien eingeteilt werden. Das folge auch einem tief sitzenden psychologischen Urtrieb, glaubt Martina Thiele – die Kommunikationswissenschafterin aus Salzburg hat sich zum Thema Vorurteile habilitiert. Dieser Trieb bestehe darin, die allzu komplexe Welt möglichst zu vereinfachen. Und dazu gehörten auch Schubladen, in die man die Phänomene der Welt, und auch die Menschen darin, einordne. „So erwerben wir sehr früh Verknüpfungen im Gehirn, die dann automatisch aktiviert werden.“Dass man seinen Verstand gebrauchen könne und müsse, um diesem Reflex zu widerstehen, stehe auf einem anderen Blatt.
Jedenfalls: Auch die klügsten Köpfe der vergangenen Jahrhunderte verfielen dem Trieb der Schubladisierung. Schon Immanuel Kant entwarf mehrere Gattungen von Menschen, und natürlich sah er die Weißen, zu denen er selbst gehörte, als höchststehend an. Genau das war bereits der zweite, der eigentlich fatale Schritt: Von der Kategorisierung zur Hierarchisierung.
Auch die Romantiker versuchten, Menschen nach Rassen zu definieren. Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Johann Gottfried Fichte etwa. Johann Gottfried Herder glaubte zwar nicht an Rassen – „aber daran, dass jedes Volk eine eigene Seele hat, die sich in Religion und Kultur ausdrückt, einen Volksgeist also“, erklärt Pinwinkler. Der Salzburger Historiker hat gerade ein mehrere Tausend Seiten starkes Lexikon des Völkischen herausgegeben.
Dann, 1859, schlug Charles Darwins Evolutionstheorie ein wie eine Bombe. Nun konnten jene, die es wollten, auch das menschliche Zusammenleben als einen Verdrängungswettbewerb interpretieren, und das Leben selbst als Verteilungskampf; um Ressourcen, Nahrung, um Lebensraum.
Die Sozialdarwinisten verstanden ihr geistiges Vorbild so: Menschen wie Tiere unterliegen einer Auslese. Die „Stärksten“ setzen sich durch – das war übrigens eine fatal falsche Übersetzung von Darwins „Survival of the Fittest“, denn das bedeutet eigentlich das „Überleben der Angepasstesten“. Wenn nun aber die Weiterentwicklung allen Lebens davon abhängig war, dass die „Schwachen“natürlich ausgesondert würden – was bedeutete das politisch?
Historiker Pinwinkler analysiert: „Sozialdarwinismus hieß natürlich, alle staatliche Fürsorge, den sozialen Ausgleich zu bekämpfen. Denn die Schwachen sollten ja vergehen, sich zumindest nicht weitervermehren. Weil sonst die Weiterentwicklung der eigenen Rasse gefährdet gewesen wäre.“
Hinzu kamen nun auch die Experimente des Augustinerpriesters und Naturforschers Georg Mendel. Der versuchte sich am Thema der Vererbungslehre – berühmt sind seine Experimente mit Erbsen. Mendel war kein Rassist, aber seine Forschungen fielen an falschem Ort auf fruchtbaren Boden. Und brachten eine „Erbgesundheitslehre“hervor, die Eugenik. Deren Ziel: Menschen „hochzuzüchten“mit möglichst positiven Merkmalen – und die negativen Eigenschaften einfach wegzuzüchten. Der Gedanke war bestechend: Wenn man bei Tieren oder Saatgut durch gezielte Zucht und Kreuzung „besseres Material“herstellen konnte, warum dann nicht bei Menschen?
Einer der „Pioniere“dieser fragwürdigen Wissenschaft war der britische Gelehrte Francis Galton. Er und seine Gesinnungsgenossen entwickelten nun politische Maßnahmen zur Verbesserung des Erbguts der Bürger. Auf den Punkt gebracht: Die Minderwertigen sollten an der Fortpflanzung gehindert werden, vor allem aber die Höherwertigen zu selbiger ermutigt. In Galtons Worten: „Die Möglichkeit der rassischen Verbesserung einer Nation hängt von deren Fähigkeit ab, die Produktivität des besten Erbgutes zu erhöhen. Dies ist weitaus wichtiger als die Unterdrückung der Produktion der Schlechtesten.“
Eine interessante Frage ist übrigens, wieso viele Eugeniker so besessen davon waren, die eigene Rasse „rein“zu halten. Denn betrachtet man Zoologie oder Botanik, waren viele landwirtschaftliche Nutzpflanzen und -tiere ja im Gegenteil durch Kreuzung, also Vermischung, entstanden.
Unlogisch? Gewiss. Aber: „Hier kam nun der florierende Nationalismus des 19. Jahrhunderts ins Spiel. Die Politik wollte Völker zu Nationen zusammenschweißen, und bediente sich nun der Wissenschaft“, sagt Pinwinkler. „Man brauchte Gemeinsamkeiten nach innen und Feindbilder nach außen. Hervorragende Feindbilder waren jene angeblich Minderwertigen, die sich anschickten, das eigene Blut zu verderben. Die Idee, das eigene Volk rein zu halten, konnte als integrative Kraft genutzt werden.“
Die Folgen waren aus heutiger Sicht menschenverachtend, doch sie folgten der inneren Logik des Rassenwahns. Zunächst begannen „Anthropometriker“, den menschlichen Körper millimetergenau zu vermessen. Das Ziel war, die Verbindung herzustellen zwischen äußeren Merkmalen und geistigen und charakterlichen Eigenschaften. Schädelform, Haltung, Jochbeinabstand – alles schien plötzlich eine Mes-
Die Eugeniker fanden, die Schwachen sollten sich nicht weitervermehren. Alexander Pinwinkler, Historiker
größe für das Innenleben, ja die schiere Qualität von Menschen zu sein. Auch kriminelles, „asoziales“Verhalten wollte man an Äußerlichkeiten erkennen können.
Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt zu Zwangssterilisierungen „erblich Belasteter“, übrigens nicht nur im Dritten Reich, auch in den USA – „und bis in die 70er-Jahre auch in Schweden“, berichtet Pinwinkler. Am Ende standen das Mutterkreuz auf der einen Seite, die Euthanasieprogramme und Rassengesetze der Nazis auf der anderen. Bis hin zur Auslöschung ganzer minderwertiger Völker.
Was aber sagt die moderne Wissenschaft dazu? Zunächst einmal: Dass es so etwas wie Menschenrassen gar nicht gibt. Unser aller Erbgut ist fast identisch, und die Unterschiede verteilen sich kreuz und quer über den Planeten. „Es kann gut sein, dass ein Chinese mit mir mehr genetische Gemeinsamkeiten hat als mein Nachbar“, sagt der österreichische Genetiker Markus Hengstschläger. Und dass man von Hautfarbe oder Nasenform auf innere Eigenschaften schließen könne, das sei wissenschaftlich widerlegt – „es ist ganz einfach nicht der Fall“, erklärt der Wissenschafter.
Was aber ist mit der Idee, durch gezielte Züchtung „bessere Menschen“zu erschaffen? Es müssten ja keine arischen Herrenmenschen sein – vielleicht ließe die Menschheit sich zu klügeren Wissenschaftern, mitfühlenderen Bürgern, selbstloseren Eltern, besseren Demokraten „hochzüchten“? Hengstschläger hält dies für eher abwegig. „Weil bei Züchtungsversuchen nie das herauskommt, was man beabsichtigt. Man musste von tausend gekreuzten Saatgutsorten 999 wegwerfen, weil sie nichts taugten. Das basiert alles auf dem Prinzip Versuch und Irrtum, es wäre auf den Menschen nicht übertragbar. Schauen sie mal, ob schöne Eltern immer schöne Kinder bekommen, und kluge Eltern kluge Kinder. Wenn wir ehrlich sind: Nein.“
Dies hänge schon damit zusammen, dass viele Eigenschaften unseres Erbguts „rezessiv“, also ausprägungslos seien, andere wieder dominant, und dass sich Anlagen von Vater und Mutter bei der Zeugung im Kind unvorhersehbar vermischten. Dazu komme der sowieso unkontrollierbare, aber starke Einfluss der Umwelt auf jeden Menschen.
Und die moderne Genetik? Tatsächlich haben Wissenschafter eine „Genschere“entwickelt, mit der man gezielt in die Keimbahn eines Menschen eingreifen könnte. Doch hier sagt Hengstschläger entschieden: „Finger weg!“– denn: Man habe zwar das Genom des Menschen entschlüsselt, jedoch keine Ahnung, wie die Funktionen der gut drei Milliarden Basenpaare zusammenhingen. „Wenn man da etwas verändert, hat man keine Ahnung, was passieren wird“, sagt Hengstschläger. „Wir wüssten auch gar nicht, wo anfangen. Eigenschaften wie Intelligenz oder Gutmütigkeit werden wahrscheinlich von Hunderten oder Tausenden Genen in unendlich komplexem Zusammenspiel kontrolliert. Und das schlimmste ist: Wenn wir da einmal etwas ändern, können wir es nie wieder rückgängig machen. Den Menschen neu zu designen? Das wäre eine brandgefährliche Sache.“
Den Menschen neu zu designen? Das wäre eine brandgefährliche Sache. Markus Hengstschläger, Genetiker