Junge mucken gegen den Stillstand auf
Fade Gegenwart. Im Café Hyena treffen sich täglich vier junge Leute, um sich neu zu erfinden. ANTON THUSWALDNER
Vier junge Leute scheren aus. Zusammen ergeben sie ein Quartett, das sich der bürgerlichen Konvention widersetzt und ein kollektives Anleben gegen Norm und Disziplin anstrebt. Sie bilden die Bohème, verachten ein Sicherheitsnetz, das ihrer Existenz Schutz unter widrigen Umständen bieten würde. Geregelter Arbeit geht im Wechsel einer nach, die drei anderen dürfen ungestört ihre künstlerischen Neigungen pflegen. „Elza und Ian gehörten zu den Desperados von Bratislava“, dazu kommen Rebeka und Elfman, so schildert es Jana Beňová in ihrem soeben auf Deutsch erschienenen Roman.
All die Zeitgenossen, die sich für die Gewöhnlichkeit einer durchschnittlichen Existenz entschieden haben, werden von den vier Freunden als Pfannkuchen abgekanzelt. Für etwas Besseres halten sie sich schon, immerhin bewahren sie ihr Gesicht und nehmen eine individuelle Haltung ein.
Was für die vier als ein Modell auf Dauer vorgesehen ist, klappt nach einiger Zeit nicht mehr. Die eine verliebt sich in einen fabelhaften Tänzer, Elfman verlässt die Stadt, und Rebeka, sowieso ein labiles Wesen, wird in die Psychiatrie eingeliefert. So wird aus einer Geschichte, die den Einzelgängern eine Chance gibt, ein Scheitern.
Die Slowakin Jana Beňová hat einen Roman aus dem Zeitalter einer neuen Restauration geschrieben. Eine bleierne Zeit hat sich über die Leute gelegt, der Stillstand ist eingetreten, die slowakische Bevölkerung hat es sich in einer Zeit ohne Experimente eingerichtet. Im Kontrast dazu steht das Quartett als der lebende Protest zu einer Gesellschaft der Ja-Sager. „Alles Geld, das sie verdienten, verfutterten sie, vertranken sie und verrauchten sie.“Sie leben im Jetzt, der Zukunftssinn ist verkümmert. Das hat etwas Selbstzerstörerisches, deshalb geht die Geschichte auch nicht gut aus. Dennoch ist das kein Buch, das die Realitätsverweigerer anklagt und sie für ihre Unbotmäßigkeit bestraft. Die Sympathien der Autorin gehören dem Quartett, das sich nicht behauptet. Ausgiebig kommen die vier zu Wort. Immerhin nehmen sie nicht hin, was von ihnen erwartet wird, sie machen sich Gedanken über sich und die Welt, in die sie gestellt wurden. Die ist ja keine gewählte, sondern eine ihnen vorgesetzte. Schon das mobilisiert ihren Widerstand.
Die vier bleiben beim Individualaufstand. Sie haben kein Interesse, die Gesellschaft mit hineinzuziehen. Sie leben nach eigener Fasson, wollen nicht behelligt werden. Selbst wenn von ihrer Vergangenheit im „sozialistischen Materialismus“die Rede ist, bleiben sie bei persönlichen Erlebnissen, die vom staatlichen Zugriff auf das Individuum unbehelligt bleiben. Dafür gewinnt die Fantasie beim Angriff auf die Verhältnisse die Oberhand. Der Literatur, der gelesenen wie der selbst verfassten, kommt eine besondere Rolle zu. Sie denkt sich alternative Wirklichkeiten aus oder greift zur schönen Form der Kritik. Dann sieht die Welt, wie sie ist, gleich um einiges ärmer aus.
Doch ist die Fantasiewelt auf Dauer nicht bewohnbar. Zu drängend bestehen die Fakten der Existenz darauf, ernst genommen zu werden. Eine demente Mutter fordert Aufmerksamkeit, und jeder Einzelne ist einem Wandel unterworfen, der den Zusammenhalt gefährdet. Das Projekt einer gemeinsamen Bastion in der Gegenwirklichkeit endet im Wolkenkuckucksheim.
Wir dürfen Jana Beňová als Realistin mit dem Hang zu einer schrullig einleuchtenden Fantasie auffassen. In Episoden holt sie bestechende Begebenheiten ans Licht. Der junge Ginsberg bekommt Geld dafür, durch die Stadt zu bummeln. „Der Oberbürgermeister legt sehr viel Wert darauf, dass sich ständig Leute in den Straßen aufhalten und dort herumspazieren, damit die Stadt lebendig wird. (…) Die Slowaken sind ein modernes Volk, es treibt sie ständig auf die Straße und in die Restaurants.“Darüber kann man doch reden, oder? Verlosung: Fünf Exemplare von „Café Hyena“von Jana Beňová, Roman, 172 Seiten, aus dem Slowakischen von Andrea Reynolds, Residenz Verlag, Salzburg 2017, werden unter Abonnenten der „Salzburger Nachrichten“verlost.