Der Hebel, um die Mindestsicherung zu vereinheitlichen
Der Bund möchte eine Verfassungsbestimmung aus dem Jahr 1920 nützen, um den Ländern Vorschriften zu machen.
Es mag Zufall sein. Just am Tag, als ruchbar wurde, dass die Koalitionsverhandler die im Artikel 12 der Verfassung festgelegte Grundsatzkompetenz des Bundes im „Armenwesen“als Hebel für die (Wieder-)Vereinheitlichung der Mindestsicherung nutzen wollen, forderte die Landeshauptleutekonferenz die ersatzlose Streichung besagten Artikels 12. Er erlaubt es dem Bund, den Ländern in bestimmten Materien Vorgaben zu machen – wozu eine einfache Mehrheit reicht.
Während das Verlangen der Länder, den Artikel 12 aus der Verfassung zu streichen, Tradition hat, wäre es das erste Mal, dass der Bund in Sachen Sozialhilfe die Regeln aufstellt, die von den Ländern dann in neun Ausführungsgesetzen umgesetzt werden müssten. Alle anderen im Artikel 12 genannten Materien sind bereits per Grundsatzgesetzgebung geregelt: Spitäler, Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge, Bodenreform, Pflanzenschutz und Schädlingsbekämpfung. Einzige Ausnahme ist die Sozialhilfe, die seit gut sieben Jahren Mindestsicherung heißt, in der aus dem Jahr 1920 stammenden Bundesverfassung aber noch unter „Armenwesen“läuft.
Wie Peter Bußjäger, Verfassungsrechtler und Chef des Föderalismusinstituts in Innsbruck, erklärt, sei das Ziel des Artikels 12 gewesen, „eine gewisse Einheitlichkeit zu ermöglichen, aber doch angepasst an die Bedürfnisse der Länder“. Bewährt habe sich das „nicht wirklich, weil der Bund die Grundsatzgesetze so detailliert geregelt hat, dass den Ländern kein Spielraum geblieben ist“. Deshalb gebe es schon lange den Ruf, die Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes abzuschaffen, sagt Bußjäger. Stecken geblieben sei man stets bei der Frage: „Wer kriegt welche Kompetenz?“
Für die Sozialhilfe galten trotzdem schon einmal einheitliche Regeln. Darauf hatten sich Bund und Länder im wesentlich amikaleren, zugleich aber wesentlich komplizierteren Weg eines 15a-Vertrags verständigt. Er trat ab Herbst 2010 in Kraft und lief Ende 2016 aus. Getrieben von der Flüchtlings- und Migrationskrise, in deren Folge Zehntausende Asylberechtigte Mindestsicherungsbezieher wurden, waren die Vorstellungen von SPÖ sowie Stadt Wien auf der einen Seite und ÖVP sowie den meisten anderen Bundesländern auf der anderen Seite zu stark auseinander gegangen. Erstgenannte waren vehement gegen Kürzungen, Letztgenannte drängten darauf. Die fast ein Jahr dauernden Verhandlungen scheiterten. In einigen Ländern, allen voran in Nieder- und Oberösterreich, wurde der Zugang verschärft, zusätzliche Bedingungen (Integrationsvereinbarungen) und/oder Wartezeiten eingeführt und Leistungen gekürzt bzw. gedeckelt.
ÖVP und FPÖ wollen das nun österreichweit vorschreiben. Der Aufschrei Wiens, wo die meisten Mindestsicherungsbezieher leben, dürfte prompt erfolgen. Dass es darüber hinaus massive Widerstände in den Ländern geben wird, ist eher nicht zu erwarten. Grund: Proteste sind dann programmiert, wenn der Bund den Ländern Kosten aufbürdet (wie etwa durch die Abschaffung des Pflegeregresses geschehen, Anm.). Bei der Mindestsicherung laufen die schwarz/türkisblauen Pläne aber darauf hinaus, die Kosten zu senken.
Woran es zuletzt scheiterte