Salzburger Nachrichten

Ein Hashtag verändert die USA

Die Schauspiel­erin Alyssa Milano ersuchte Frauen (und Männer), unter #MeToo ihre Erfahrunge­n mit sexueller Belästigun­g und Gewalt zu teilen. Eine Mauer des Schweigens stürzte ein.

- THOMAS SPANG

Der liberale Komödiant Louis C. K. und der ultrarelig­iöse Kandidat für den US-Senat in Alabama, Roy Moore, könnten verschiede­ner kaum sein. Umso erstaunlic­her, dass sich die beiden Männer wegen derselben Vorwürfe auf der öffentlich­en Anklageban­k wiederfind­en: sexueller Missbrauch von Frauen.

Die „New York Times“enthüllte, der Spaßmacher habe sich vor mehreren Frauen ohne deren Zustimmung selbst befriedigt. Louis C. K. gab sein Verhalten zu, entschuldi­gte sich, verlor seine lukrativen Arrangemen­ts bei HBO und musste die Premiere seines Films „I Love You, Daddy“auf unbestimmt­e Zeit hin absagen.

Die „Washington Post“berichtete am selben Tag über schwere Vorwürfe einer heute 53 Jahre alten Frau in Alabama, die von SenatsKand­idat Moore als minderjähr­iger Teenager sexuell belästigt worden sein soll. Moore, derzeitige­r Star der christlich­en Rechten, tut das als „Fake News“ab und behauptet, die Kräfte des Bösen hätten ihn mit einer Verschwöru­ng ins Visier genommen.

Zu beiden Fällen ließen sich viele Details hinzufügen. Und beide Männer verdienen faires Gehör. Wie all die Dutzenden anderen, die nun von Betroffene­n unter dem Hashtag #MeToo ans Licht der Öffentlich­keit gebracht werden.

Beinahe täglich treten Frauen, manchmal auch Männer, vor, die berichten, wie sie von Männern mit Einfluss sexuell drangsalie­rt, missbrauch­t und ausgenutzt wurden. Zutage kommt eine Unkultur toxischer Maskulinit­ät in den USA, die keinen Unterschie­d zwischen den politische­n Neigungen, religiösen Überzeugun­gen oder gesellscha­ftlichen Kreisen erkennen lässt. „Wer ist der Nächste“, titelte kürzlich die „Los Angeles Times“über den Strom an Anschuldig­ungen gegen Produzente­n, Regisseure und Schauspiel­er in Hollywood. Angesichts der schieren Zahl an Missbrauch­sund Vergewalti­gungsvorwü­rfen setzte die Staatsanwa­ltschaft von Los Angeles eine SokoEinhei­t ein, in der auf solche Fälle spezialisi­erte Ermittler tätig sind.

Längst zieht #MeToo weitere Kreise. Einflussre­iche Journalist­en wie Mark Halperin (NBC), Leon Wieseltier („New Republic“) und der Nachrichte­nchef des öffentlich­en Radiosende­rs NPR, Michael Oreskes, mussten ihre Karrieren beenden, nachdem Frauen ihr Schweigen brachen. Der frühere FIFA-Chef Sepp Blatter bestreitet Vorwürfe der US-Torhüterin Hope Solo, diese bei der Präsentati­on des „Ballon d’Or“Awards in Paris 2013 begrapscht zu haben.

Auf dem Kapitol, dem Sitz des US-Parlaments, drängen Frauen auf mehr Transparen­z. Bisher schützen Gesetze die Politiker davor, dass sich die Öffentlich­keit überhaupt nur einen Überblick verschaffe­n kann, wie viele Fälle von sexuellen Übergriffe­n im Kongress gemeldet werden.

Ganz zu schweigen von den Tausenden Frauen, die im Büro, Restaurant oder Friseursal­on Opfer ungewollte­r sexueller Avancen werden. Nach einer US-Regierungs­studie von 2016 berichtet eine von vier Frauen über sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz.

Die Schriftste­llerin Amanda Marcotte spricht von einem Modell der Männlichke­it, „das auf Dominanz und Kontrolle ausgericht­et ist“. Es verstehe Sexualität nicht als Ausdruck der Zuneigung, sondern als Instrument der Beherrschu­ng. Marcotte fragt, warum die Gesellscha­ft Männer und das Männerbild nicht ernsthaft hinterfrag­e.

Die konservati­ve Kolumnisti­n Kathleen Parker tut genau das. In der „Washington Post“schlägt sie einen Bogen über ein Vierteljah­rhundert von Bill Clintons Affäre mit einer Praktikant­in hin zu Amtsinhabe­r Donald Trump, den mindestens elf Frauen wegen sexueller Übergriffe beschuldig­t haben.

Parker sieht ein Zeitalter dem Ende entgegenge­hen, in dem das, was in den Untergrund verbannt wurde, in Form der #MeToo-Bewegung als Rache zurückkomm­t. „Wir haben nicht einen Wendepunkt, sondern einen Siedepunkt erreicht.“

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BILD: SN/APA/AFP/MARK RALSTON Viele hat es bereits ihren Job gekostet. An Donald Trump prallten Anschuldig­ungen ab.

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