Ein Hashtag verändert die USA
Die Schauspielerin Alyssa Milano ersuchte Frauen (und Männer), unter #MeToo ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Gewalt zu teilen. Eine Mauer des Schweigens stürzte ein.
Der liberale Komödiant Louis C. K. und der ultrareligiöse Kandidat für den US-Senat in Alabama, Roy Moore, könnten verschiedener kaum sein. Umso erstaunlicher, dass sich die beiden Männer wegen derselben Vorwürfe auf der öffentlichen Anklagebank wiederfinden: sexueller Missbrauch von Frauen.
Die „New York Times“enthüllte, der Spaßmacher habe sich vor mehreren Frauen ohne deren Zustimmung selbst befriedigt. Louis C. K. gab sein Verhalten zu, entschuldigte sich, verlor seine lukrativen Arrangements bei HBO und musste die Premiere seines Films „I Love You, Daddy“auf unbestimmte Zeit hin absagen.
Die „Washington Post“berichtete am selben Tag über schwere Vorwürfe einer heute 53 Jahre alten Frau in Alabama, die von SenatsKandidat Moore als minderjähriger Teenager sexuell belästigt worden sein soll. Moore, derzeitiger Star der christlichen Rechten, tut das als „Fake News“ab und behauptet, die Kräfte des Bösen hätten ihn mit einer Verschwörung ins Visier genommen.
Zu beiden Fällen ließen sich viele Details hinzufügen. Und beide Männer verdienen faires Gehör. Wie all die Dutzenden anderen, die nun von Betroffenen unter dem Hashtag #MeToo ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden.
Beinahe täglich treten Frauen, manchmal auch Männer, vor, die berichten, wie sie von Männern mit Einfluss sexuell drangsaliert, missbraucht und ausgenutzt wurden. Zutage kommt eine Unkultur toxischer Maskulinität in den USA, die keinen Unterschied zwischen den politischen Neigungen, religiösen Überzeugungen oder gesellschaftlichen Kreisen erkennen lässt. „Wer ist der Nächste“, titelte kürzlich die „Los Angeles Times“über den Strom an Anschuldigungen gegen Produzenten, Regisseure und Schauspieler in Hollywood. Angesichts der schieren Zahl an Missbrauchsund Vergewaltigungsvorwürfen setzte die Staatsanwaltschaft von Los Angeles eine SokoEinheit ein, in der auf solche Fälle spezialisierte Ermittler tätig sind.
Längst zieht #MeToo weitere Kreise. Einflussreiche Journalisten wie Mark Halperin (NBC), Leon Wieseltier („New Republic“) und der Nachrichtenchef des öffentlichen Radiosenders NPR, Michael Oreskes, mussten ihre Karrieren beenden, nachdem Frauen ihr Schweigen brachen. Der frühere FIFA-Chef Sepp Blatter bestreitet Vorwürfe der US-Torhüterin Hope Solo, diese bei der Präsentation des „Ballon d’Or“Awards in Paris 2013 begrapscht zu haben.
Auf dem Kapitol, dem Sitz des US-Parlaments, drängen Frauen auf mehr Transparenz. Bisher schützen Gesetze die Politiker davor, dass sich die Öffentlichkeit überhaupt nur einen Überblick verschaffen kann, wie viele Fälle von sexuellen Übergriffen im Kongress gemeldet werden.
Ganz zu schweigen von den Tausenden Frauen, die im Büro, Restaurant oder Friseursalon Opfer ungewollter sexueller Avancen werden. Nach einer US-Regierungsstudie von 2016 berichtet eine von vier Frauen über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
Die Schriftstellerin Amanda Marcotte spricht von einem Modell der Männlichkeit, „das auf Dominanz und Kontrolle ausgerichtet ist“. Es verstehe Sexualität nicht als Ausdruck der Zuneigung, sondern als Instrument der Beherrschung. Marcotte fragt, warum die Gesellschaft Männer und das Männerbild nicht ernsthaft hinterfrage.
Die konservative Kolumnistin Kathleen Parker tut genau das. In der „Washington Post“schlägt sie einen Bogen über ein Vierteljahrhundert von Bill Clintons Affäre mit einer Praktikantin hin zu Amtsinhaber Donald Trump, den mindestens elf Frauen wegen sexueller Übergriffe beschuldigt haben.
Parker sieht ein Zeitalter dem Ende entgegengehen, in dem das, was in den Untergrund verbannt wurde, in Form der #MeToo-Bewegung als Rache zurückkommt. „Wir haben nicht einen Wendepunkt, sondern einen Siedepunkt erreicht.“