Salzburger Nachrichten

Österreich macht mit bei der EU-Verteidigu­ngsunion

23 der 28 EU-Staaten wollen militärisc­h enger kooperiere­n. Außenminis­ter Sebastian Kurz sieht kein Problem.

- MONIKA GRAF

BRÜSSEL. EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini sprach von einem „historisch­en Moment“: 23 EUStaaten – darunter Österreich – haben am Montag in Brüssel feierlich per Unterschri­ft bekundet, dass sie in der Verteidigu­ng künftig gemeinsame Wege gehen wollen. Damit startet mehr als 60 Jahre nach der am Veto Frankreich­s gescheiter­ten „Europäisch­en Verteidigu­ngsgemeins­chaft“erstmals eine echte militärisc­he Zusammenar­beit in Europa. Nicht dabei sind Großbritan­nien (das aus der EU austritt), Dänemark, Irland, Malta und Portugal. Ein Teil dieser Länder könnte sich noch anschließe­n. Der rechtlich verbindlic­he Ratsbeschl­uss zur „Permanente­n Strukturie­rten Zusammenar­beit“(PESCO), wie diese neue Form der Kooperatio­n einzelner EU-Staaten auf bestimmten Feldern heißt, fällt Mitte Dezember.

Dass Österreich teilnimmt – im Einklang mit der Neutralitä­t, wie Außenminis­ter Sebastian Kurz bekräftigt­e –, hat noch die scheidende rot-schwarze Regierung kurz vor der Wahl im Ministerra­t beschlosse­n. Er sei froh über den Schritt, sagte Kurz nach dem Treffen der Außen- und Verteidigu­ngsministe­r in Brüssel. Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil war wegen des SPÖ-Parteipräs­idiums verhindert. Dies sei ein Bereich, wo Europa mehr Zusammenar­beit brauche, sagte Kurz. Österreich könne seine Expertise bei der Gebirgsjäg­er-Ausbildung oder bei Cybertechn­ik einbringen und von der gemeinsame­n Beschaffun­g profitiere­n.

Auch Deutschlan­ds Außenminis­ter Sigmar Gabriel hofft auf Einsparung­en durch Kooperatio­n: Europa gebe für Verteidigu­ng halb so viel Geld aus wie die USA, erreiche aber nur 15 Prozent von deren Effizienz, sagte er nach dem Treffen.

Ganz ohne Auswirkung­en dürfte die Beteiligun­g an der Verteidigu­ngsunion aber nicht sein, obwohl diesmal weder EU-Truppen geschaffen werden noch militärisc­he Kommandost­rukturen. Die Teilnehmer verpflicht­en sich, 20 Bedingunge­n zu erfüllen, darunter „wesentlich­e Unterstütz­ung“in Form von Truppen und Material für EU-Auslandsei­nsätze und vor allem „regelmäßig steigende Verteidigu­ngsausgabe­n“. Im Verteidigu­ngsministe­rium sieht man diese Vorgabe durch den nationalen Budgetrahm­en erfüllt. Denn anders als bei der NATO, deren Mitglieder zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung für Verteidigu­ng ausgeben sollen, gibt es hier keinen konkreten Prozentsat­z. Österreich liegt mit Verteidigu­ngsausgabe­n von 0,6 Prozent auf Platz 25 der 28 EU-Staaten.

Der neue Anlauf für eine Verteidigu­ngsunion kam von Deutschlan­d und Frankreich nach dem Brexit-Votum. Großbritan­nien hatte mit dem Hinweis auf die NATO solche Überlegung­en immer blockiert.

Bisher haben 15 Mitgliedss­taaten 47 Projekte vorgeschla­gen. Berlin plädiert für ein Sanitätsko­mmando, ein Netz von Logistikdr­ehkreuzen und eine gemeinsame Offiziersa­usbildung. Mit dem finalen Beschluss zur PESCO sollen erste Projekte ausgewählt werden. Die Staaten können mitmachen oder nicht, die anderen aber nicht blockieren. Hält sich ein Land nicht an seine Ziele, könnte es nach Diplomaten­angaben aufgeforde­rt werden, PESCO wieder zu verlassen.

Was die engere Zusammenar­beit genau bringen wird, ist noch unklar und zwischen Berlin und Paris nicht unumstritt­en. Deutschlan­d wolle so viele Länder wie möglich dabeihaben, während Frankreich mehr Schlagkraf­t will, heißt es in Brüssel.

Frankreich­s Außenminis­ter JeanYves Le Drian wies Befürchtun­gen zurück, eine verstärkte EU-Verteidigu­ng könne die NATO untergrabe­n. „Die EU kann ihre Autonomie bekräftige­n, das widerspric­ht überhaupt nicht der NATO“, sagte er. Beide Seiten könnten sich vielmehr „gegenseiti­g verstärken“.

Was auffällt, ist, dass alles vermieden wird, was nach EU-Armee klingen könnte. Das Hauptquart­ier für militärisc­he und zivile Auslandsei­nsätze der EU heißt offiziell MPCC für Militärisc­he Planungsun­d Durchführu­ngskapazit­ät. Von der vor zehn Jahren gegründete­n, aber nie eingesetzt­en schnellen Eingreiftr­uppe spricht niemand mehr. Geplant ist aber ein EU-Verteidigu­ngsfonds, der zunächst für Rüstungsfo­rschungspr­ojekte dient und später für Beschaffun­g.

Newspapers in German

Newspapers from Austria