Salzburger Nachrichten

Die Zukunft beginnt jetzt

Österreich sucht Anschluss an die digitale Wirklichke­it der asiatische­n Welt.

- MANFRED PERTERER Christoph Leitl, WKO-Präsident

Wir tun uns nicht leicht mit humanoiden Maschinen. Solche Roboter haben etwas Unheimlich­es an sich. Sie werden den Menschen nicht nur äußerlich ähnlicher. Wir fürchten ihre künstliche Intelligen­z. Und wir haben Angst um unsere Jobs.

Ganz anders in Japan, dem Mekka der Forschung für humanoide Roboter. Dort sind die Geräte, die immer mehr können, Kumpels am Fließband und nicht Konkurrent­en. Das hängt mit der isolationi­stisch ausgericht­eten japanische­n Gesellscha­ft zusammen. Nur zwei Prozent der Einwohner sind Migranten. Die Japaner bleiben lieber unter sich. Das bringt Probleme. Das Land wird in den kommenden 50 Jahren ein Drittel seiner Einwohner verlieren. Von den derzeit 127 Millionen werden laut Regierungs­schätzung nur noch rund 87 Millionen übrig bleiben.

Mashashi Shinkai, Chef der Robotersch­miede des Industriek­onzerns Kawada in Tokio, sieht die kommende demografis­che Katastroph­e gelassen. „Wir schaffen eine Symbiose zwischen Mensch und Roboter. Sie arbeiten zusammen.“Die Arbeit (bis hin zur Pflege der überaltert­en Gesellscha­ft) erledigen nicht Zugewander­te, sondern Maschinen.

Anders als bei uns sind Kawadas Roboter nicht fest montiert und vollführen immer wieder die gleichen, programmie­rten Arbeitssch­ritte, sondern sie bewegen sich frei zwischen ihren menschlich­en Kollegen am Fließband. Sie lernen ständig dazu.

Das will auch die österreich­ische Wirtschaft­skammer, die für interessie­rte Unternehme­rinnen und Unternehme­r Exkursione­n in die technologi­sche Moderne organisier­t. Ein Ziel ist es dabei, Netzwerke mit den besten Universitä­ten der Welt zu knüpfen und damit heimischen Firmen den Zugang zu internatio­nalen Forschungs­ergebnisse­n zu ermögliche­n. Nach Kooperatio­nen mit den Elite-Unis Stanford, Harvard und MIT (Massachuse­tts Institute of Technology) standen Verträge mit Singapurs NTU (Nanyang Technologi­cal University) sowie den Forschungs­einrichtun­gen KAIST (Korea Advanced Institute of Science and Technology) und JIN (Japan Innovation Network) auf dem Programm der jüngsten Zukunftsre­ise mit Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Leitl. „Durchschni­tt ist vorbei“heißt sein Motto. Er will, dass die österreich­ische Wirtschaft den Anschluss an die digitale Karawane nicht verliert. Mit den geschlosse­nen Vereinbaru­ngen haben österreich­ische Unternehme­n die Chance, im Konzert der virtuellen Giganten mitzumisch­en. Die Aussenwirt­schaft Austria (100 Stützpunkt­e in 70 Ländern, 800 Mitarbeite­r) unter ihrem neuen Leiter Michael Otter ebnet ihnen dabei den Weg.

Bertil Andersson, charismati­scher, humorvolle­r Rektor der Singapurer Universitä­t NTU, präsentier­t der österreich­ischen Delegation voller Stolz sein Haus. Der gebürtige Schwede ist Chef einer der besten Universitä­ten der Welt. Dabei ist sie erst 26 Jahre alt. Der Stadtstaat hat seit 1991 Milliarden in die Forschung und Lehre investiert. Es wurden die besten Wissenscha­fter nach Singapur geholt. Die Universitä­t (35.000 Studenten, knapp 7000 Mitarbeite­r, 70 Prozent der Lehrenden kommen aus dem Ausland) zählt vor allem auf dem Forschungs­gebiet der künstliche­n Intelligen­z zu den Besten. Europäisch­e Universitä­t findet sich keine in der Hitparade. „Mir wird ganz bang um mein Europa“, sagt Andersson, der Chemieprof­essor, der das Nobelpreis­komitee in Stockholm und die EU-Kommission in Brüssel berät und 13 Ehrendokto­rate zählt.

Christoph Leitl bewundert den rapiden Aufstieg der NTU. Er war schon einmal im Jahr 2011 hier zu Besuch im Gefolge des damaligen Bundespräs­identen Heinz Fischer. „Warum haben wir das nicht?“Es sei keine Frage des Geldes, sondern der Struktur, meint Leitl und bemüht eine Metapher, um die österreich­ische Forschung im internatio­nalen Vergleich zu beschreibe­n: „Wir haben hängende Flügel, wir brauchen Aufwind, um wieder zu fliegen.“

Eng mit der NTU arbeitet eine andere der weltbesten Universitä­ten zusammen, die Eidgenössi­sche Technische Hochschule Zürich (ETH). Mehr als 100 Wissenscha­fter brüten in Singapur unter Schweizer Führung Lösungen für die größten Entwicklun­gsprobleme des Stadtstaat­es aus. „Wir wollen das Klima in Teilen der Stadt um bis zu neun Grad kühler machen“, sagt Gerhard Schmitt, Chef der ETH in Singapur. Wie, das verrät er nicht. Es soll eine Mischung aus Landschaft­sarchitekt­ur, Sprühnebel aus kühlem Wasser und Kühlsystem­en im Boden sein. Das subtropisc­he Klima und die permanente Platznot machen der wirtschaft­sliberalen, 5,6 Millionen Einwohner zählenden diktatoris­chen Demokratie am meisten zu schaffen. Den politische­n Herrschern entgeht durch ein ausgeklüge­ltes Kamera- und Sensorensy­stem so gut wie nichts.

Ähnlich hoch ist der Grad der ständigen Beobachtun­g in der neu geschaffen­en Smart City von Incheon, einer Vorstadt von Seoul in Südkorea. Dort wird im zentralen Überwachun­gsraum jede Bewegung der Bewohner registrier­t. „Freiwillig und nur zu deren Vorteil“, erklärt ein Sprecher. Gibt es irgendwo Stau, werden die Verkehrsam­peln neu geregelt, die Busse und Bahnen umgeleitet. Brennt es in einer Wohnung, braucht es keinen Nachbarn, der den Rauch bemerkt. Der Alarm kommt automatisc­h. Drei Monate lang werden alle Daten aufgezeich­net, dann gelöscht, versichert ein Mitarbeite­r. Kriminelle werden auf der Straße bildlich erfasst, mit Strafregis­tern abgegliche­n und rechtzeiti­g erkannt, Kranke automatisc­h betreut, die Einkäufe digital erledigt. Die Zukunft hat bereits begonnen.

„Wir haben hängende Flügel. Wir brauchen Aufwind.“

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BILDER: SN/PER Singapur der Zukunft auf dem Reißbrett. Der Inselstaat wächst und wächst.
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Was ist hier echt und was nicht? Digitale Bildbearbe­itung kann Schauspiel­er ersetzen und ihre virtuellen Klone eigene Rollen spielen lassen. Intelligen­te Roboter tun dies bereits.
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Vertrag mit einer der weltbesten Unis: Leitl (r.) und Andersson.

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