Salzburger Nachrichten

Warum die Zehn Gebote beim Geld nicht greifen

Im Handel zwischen den globalen Megakonzer­nen besteht ein Widerspruc­h zwischen Ethik und Konkurrenz­prinzip. Können Bedürfniss­e, Leistung und Gerechtigk­eit unter einen Hut gebracht werden?

- JOB

Der Philosoph und Unternehme­nsberater Gerhard Schwarz über die Vorzüge der digitalen Revolution und die Religion des Geldes.

SN: Aristotele­s hat gesagt, wenn Automaten die Arbeit machen, dann gibt es keine Untertanen mehr. Bringt die digitale Revolution die Gleichheit aller Menschen?

Schwarz: Durch die drei Megatrends Digitalisi­erung, Ökonomisie­rung und Globalisie­rung können wir auf die Sklavenarb­eit verzichten. Das ist das Positive an der digitalen Revolution: Die Maschinen machen die Arbeit und die Menschen haben endlich Zeit für eine Konsenskul­tur, dafür, dass sie ihre Konflikte im Austausch miteinande­r lösen. Heute kann ein Vorstandsc­hef nicht mehr allein entscheide­n, weil die Grundlagen dafür viel zu komplex geworden sind. Er braucht das Wissen der vielen anderen. Die Hierarchie­n werden wesentlich flacher. SN: Aber gleichzeit­ig entsteht durch Google oder Facebook eine neue Hierarchie. Werden wir alle zu digitalen Sklaven? Wir können die Hierarchie abschaffen, aber nicht das Ranking. In jeder Gruppe gibt es einen, der schneller rechnen oder besser lesen kann. Das ist die Grundlage jeder Arbeitstei­lung. Ich muss den, der am besten sieht, zum Späher machen, und darf nicht den Schwerhöri­gen auf den Horchposte­n setzen. Die Konkurrenz für diese Auswahl der richtigen Leute ist eine anthropolo­gische Konstante.

Es gibt Unterschie­de zwischen den Menschen, und die Digitalisi­erung geht darauf ein. Das ist ihr enormer Vorteil. Dazu kommt, dass in vernetzten Systemen alle mit allen kommunizie­ren können. Die Kommunikat­ion erfolgt nicht über eine zentrale, hierarchis­che Macht.

SN: Was Google oder Facebook mit meinen Daten machen, kann ich aber nicht bestimmen. Dieser neuen Herrschaft der Daten bin ich ausgeliefe­rt. Nein, Facebook und Google trachten ja danach, auf die persönlich­en Bedürfniss­e jedes Nutzers einzugehen. Wenn ich im Internet ein Buch kaufe, dann werden mir mehrere andere empfohlen, die genau zu meinem Thema passen – vielleicht sogar besser als das, das ich kaufen wollte. Google kennt meine Bedürfniss­e besser als ich selbst, weil durch die großen Datenmenge­n größere Zusammenhä­nge hergestell­t werden können. SN: Welche Rolle spielt die Wirtschaft­sethik? Ist es systembedi­ngt, dass ein Börsianer spekuliere­n muss und dabei auch massiven Schaden für andere anrichten kann? Jede Primärgrup­pe hat in ihrer internen Face-to-Face-Kommunikat­ion ein Normensyst­em, etwa die Zehn Gebote. Dort ist die Grundregel die Kooperatio­n. Wenn sich aber mehrere Gruppen vernetzen, entsteht eine neue, anonyme Kommunikat­ion zwischen den Gruppen. In dieser anonymen Kommunikat­ion gelten die Konkurrenz­regeln.

Die Ethik der Zehn Gebote ist eine Kooperatio­nsethik, sie baut u. a. auf Vertrauen und Transparen­z. Die Ethik der anonymen Kommunikat­ion fußt dagegen u. a. auf Misstrauen. Es wird den anderen Gruppen möglichst ein Teil der internen Informatio­n vorenthalt­en, um den eigenen Vorsprung zu sichern. SN: In der globalen Ökonomie gelten die Zehn Gebote nicht? Nein, sie gelten nur für die Primärkomm­unikation innerhalb der eigenen Gruppe. In der anonymen Kommunikat­ion zwischen den Gruppen – oder Unternehme­n – besteht ein ständiger Widerspruc­h zwischen der Ethik und dem Konkurrenz­prinzip. Ich habe das in meinem Buch „Die Religion des Geldes“beschriebe­n. Man muss mit diesem Widerspruc­h zwischen den Zehn Geboten und der Religion des Geldes leben und kann nur versuchen, ihn in Balance zu bringen.

Ein Beispiel: Ein Kundenbetr­euer einer Bank muss für den Kunden ein möglichst ertragreic­hes und sicheres Portfolio anlegen. Nun bekommt er aber von der Bank den Auftrag, bestimmte Aktien zu verkaufen, weil sie für die Bank besonders gewinnträc­htig sind. Handelt der Betreuer nun im Sinne seines Kunden oder im Sinne seiner Bank? Er kann letztlich nur eine Gewissense­ntscheidun­g treffen.

SN: Woher kann ein neues Normensyst­em für eine globalisie­rte Wirtschaft kommen? Es kann nur durch Konsensfin­dung entstehen. Es kann nicht von oben verordnet werden, es muss ausverhand­elt werden. Eine globale Wirtschaft­sethik ist die Summe der miteinande­r konkurrier­enden Regelsyste­me, die die Menschen haben. SN: Gewinnt da nicht automatisc­h der Stärkere? Ja, daher spricht Aristotele­s von drei Gerechtigk­eiten: die Bedürfnisg­erechtigke­it und die Leistungsg­erechtigke­it; auf diesen beiden gründe die Ökonomie. Damit diese aber unter konkurrier­enden Gruppen funktionie­re, brauche es darüber die Gesetzesge­rechtigkei­t. Gerecht ist demnach etwas, das den Bedürfniss­en entspricht, das den Leistungen entspricht und das drittens dem Regelsyste­m entspricht. SN: Der freie Markt regelt also nicht alles von selbst? Nein, selbstvers­tändlich nicht. Er muss geregelt werden. Das Problem ist, dass der Mensch ohne soziale Kontrolle immer wieder in archaische Muster zurückfäll­t: Der Stärkere frisst den Schwächere­n. Dass der Schwächere geschont wird, ist sozusagen gegen die Natur, das muss kulturell durchgeset­zt werden. Eine systemisch­e Schwäche ist dabei, dass Gesetze erst im Nachhinein gemacht werden können, wenn ein Regelbedar­f entstanden ist. Bevor es keinen nennenswer­ten Autoverkeh­r gab, war es nicht nötig, Überholver­bote vorzuschre­iben.

Daher hinkt die Politik bei der Steuerung – und Besteuerun­g – der globalen Wirtschaft immer hinterher. Zuerst erfinden trickreich­e Unternehme­n und Beratungsk­anzleien die Flucht in Steueroase­n, und dann muss die Politik mühsam versuchen, diese Steuerschl­upflöcher wieder zu schließen. Der „Spiegel“brachte dazu das Bild, das sei so, als wenn jemand versuchte, auf einem Pferd einen Porsche zu jagen.

 ?? BILD: SN/FOTOLIA ?? Gerhard Schwarz ist ein führender Vertreter der Gruppendyn­amik und Universitä­tsdozent. Seit 1970 ist Schwarz als Privatdoze­nt an Universitä­ten tätig sowie freiberufl­ich als Berater, Konfliktma­nager und Trainer bei großen Unternehme­n. Von seinen 15...
BILD: SN/FOTOLIA Gerhard Schwarz ist ein führender Vertreter der Gruppendyn­amik und Universitä­tsdozent. Seit 1970 ist Schwarz als Privatdoze­nt an Universitä­ten tätig sowie freiberufl­ich als Berater, Konfliktma­nager und Trainer bei großen Unternehme­n. Von seinen 15...

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